Naturgeschichte(n)
nächtens über andere Menschen herfallende Wesen war natürlich nichts anderes als ein Mensch, ein Mann in aller Regel. Was immer der Auslöser seines krankhaften Wütens gewesen sein mag, Halluzinationen aufgrund von falsch dosierten Giftkräutern oder -pilzen, Hirnschädigungen oder schwere Nervenstörungen, hervorgerufen durch Tollwut, mit echten Wölfen hatten die Werwölfe nur insofern zu tun, als auch diese in den Jahrhunderten der Kleinen Eiszeit verstärkt in die Menschenwelt eindrangen. In manchen Fällen dürfte Tollwut die wahrscheinlichste Ursache gewesen sein.
Mit der nachhaltigen Besserung der sozialen und hygienischen Verhältnisse verschwanden die Werwölfe. Derzeit müssen eher wieder die echten Wölfe, die sich nach Mitteleuropa hinein ausbreiten, für werwölfische Gräueltaten herhalten. Mit Mensch-Tier-Mischlingen hatten die Werwölfe jedenfalls nichts zu tun. Allerdings häuften sich in schlechten Zeiten, in denen das Vieh oft genug auch mit schlechtem, mit giftigen Pflanzen durchsetztem Futter versorgt werden musste, Missbildungen bei Haustieren.
Kopflose oder doppelköpfige Geburten, solche mit armartig verkümmerten Vorderbeinen und rundlichem Kopf ließen sich nach spätmittelalterlichem und frühneuzeitlichem Kenntnisstand nicht anders deuten als durch Kreuzungen mit artfremden Lebewesen. Bei der wahrscheinlich nicht gar so seltenen Sodomie lag es nahe, darin die Ursache so einer Missgeburt zu sehen. Tatsache ist: Der biologische Unterschied zwischen Mensch und Tier ist viel zu groß, um sie kreuzen zu können.
Anders könnte es sich verhalten, wenn wir die nächsten Verwandten des Menschen im dritten Fall betrachten, die Menschenaffen. Bei nur etwas mehr als einem Prozent genetischen Unterschieds erschiene ein Bastard zwischen einer Schimpansin und einem Menschenmann nicht von vornherein unmöglich, gibt es doch Kreuzungen zwischen Pferd und Esel (und umgekehrt, je nachdem, wer das Muttertier ist), zwischen den verschiedensten Enten- und Gänsearten oder zwischen so unterschiedlich aussehenden Großkatzen wie Löwe und Tiger.
Im Allgemeinen ist der genetische Unterschied zwischen zwei verschiedenen Arten derselben Gattung sogar deutlich höher als zwischen Schimpansen und Menschen. Auf jeden Fall wären wir nach der üblichen Vorgehensweise in der natürlichen Klassifikation der Lebewesen entweder der dritte Schimpanse, oder die Menschenaffen wären weitere Arten in der Gattung Mensch.
Doch das sind, meine ich als Biologe, nur formale Gesichtspunkte. Denn wir wissen alle, dass es oft nicht die Menge allein macht, die unterschiedliche Qualitäten hervorbringt. Menschen und Schimpansen unterscheiden sich in so vielen wesentlichen Eigenschaften, dass sie sich im Körperbau tatsächlich weniger gleichen als Wildpferd und Wildesel, die beiden Stammarten der Hauspferde und Hausesel. Und Enten wie Gänse würden einander gerupft so ähnlich sehen, dass wohl die meisten Vogelkundler, die alle Arten mit einem schnellen Blick unterscheiden, raten müssten.
Infolgedessen sind Affenmenschen in unserer Zeit doch sehr unwahrscheinlich, wenngleich nicht gänzlich auszuschließen. Denn es hat sie gegeben. Vor fünf bis sieben Millionen Jahren lebten in Afrika die Vorfahren sowohl der Stammeslinie der Menschen als auch jener, die zu den Schimpansen führte. Sie waren keine Missgeburten, sondern lebenstaugliche Primaten, denen wir unseren eigenen Erfolg verdanken. Und es gab sie länger als es seither Vertreter unserer Gattung Mensch ( Homo ) gibt. Doch seit jener fernen Zeit gabelten sich die Wege von Menschen und Schimpansen. Sie sind eigenständig und sollten das auf jeden Fall bleiben. Auch im Interesse der Schimpansen. Sie als Arten und als Verwandte von uns zu erhalten, gebietet die Ethik. Wir haben kein Recht, sie auszurotten. Nur wenig trennt sie biologisch von uns und damit auch von den indigenen Völkern, die gleichfalls nicht der Übermacht einer bestimmten Kultur zum Opfer fallen dürfen.
In der Erhaltung der Schwachen äußert sich die Größe, nicht in Überheblichkeit, die auf andere herabschaut. Mit den Möglichkeiten und Chancen hat das alles hier so gut wie nichts zu tun. Dem Mais oder Reis neue Eigenschaften ins Erbgut einzuschleusen, die den Menschen als Nutzer dieser Kulturpflanzen zugute kommen (und nicht nur den Firmen, die das Patent darauf in Anspruch nehmen), ist, verglichen mit der Hybridisierung von Mensch und Tier, ethisch bedeutungslos. Ethikkommissionen würden weit
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