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Naturgeschichte(n)

Naturgeschichte(n)

Titel: Naturgeschichte(n) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Josef H Reichholf
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Über-Menschen«, die Götter.
    Einer von ihnen, der oberste Gott der Griechen, schuf, um es knapp zu fassen, durch die Verwandlung in einen Stier Europa und dann das Mischwesen, den Minotaurus. Der altgriechischen Mythologie zufolge war Zeus zum Leidwesen seiner stets eifersüchtigen Gottesgattin Hera nahezu unablässig auf erotische Abenteuer aus. Man könnte daraus sogar ableiten, dass die auch allen Varianten der Sexualität zugeneigten griechischen Götter bereits die weitgehende Trennung von Sexualität und Fortpflanzung vorgemacht hatten. Die Menschen brauchten das Tun der Götter nur zu kopieren. Die Tugendwächter wiederum machten sich ihren Reim darauf und betonten, was die Götter treiben, zieme sich noch lange nicht für die Menschen.
    Jedenfalls war Zeus wieder einmal entflammt, als er eine Gruppe blutjunger Frauen am Gestade des östlichen Mittelmeers bummeln sah. Es handelte sich nicht um Griechinnen, sondern um Phönizierinnen, also um Asiatinnen (zumindest nach damaliger Lage). Das tat der Schönheit dieser Frauen keinen Abbruch. Eher reizte das Asiatische den Obergott der Hellenen.
    Er nahm sich – natürlich – die Schönste aufs Korn, war sich aber bewusst, dass ihn seine aus Erfahrung gestrenge Gattin scharf im Auge behielt. Also zauberte er eine Gruppe von sich recht wild gebärdenden Stieren herbei, verwandelte sich selbst in einen besonders schönen weißen (!) und sprengte in die Jung-Frauen-Gruppe.
    Europa, die Schönste, fand den sich ihr hilfreich nähernden Stier so großartig, dass sie sich auf ihn schwang und übers Meer nach Kreta tragen ließ. Dort gebar sie dem göttlichen Stier mehrere Kinder, darunter auch Minos, den nachmaligen König von Kreta. Auf diese Weise erhielt » Europa« den Namen einer östlichen Schönheit und ausgerechnet am Beginn des solcherart neu benannten Anhängsel Asiens stand die unsittliche, sodomitische Verbindung einer Frau mit einem Stier.
    Zeus verwandelte sich nach einiger Zeit, was für den Zeitlosen nicht viel bedeutete, wieder zurück in seine göttliche Natur, aber Minos, sein Spross, sah sich einem Problem ausgesetzt. Da war sozusagen ein Mischwesen in zweiter Generation, der Minotaurus, der sich sehr wild gebärdete, häufig nach Jungfrauen verlangte und in ein Labyrinth gesperrt werden musste, damit er nicht entkam und noch mehr Schaden anrichtete. Nun, wer afrikanische Riten kennt, bei denen sich Männer in Leoparden- oder Löwenfelle mit Kopf in Ekstase tanzen, wird sich eine natürlichere Version des Minotaurus vorstellen können. In einer Kultur, die so umfassend wie die minoische dem Stierkult huldigte, reichte eine Stiermaske, um zum Minotaurus zu werden. Mit allen nachfolgenden Genüssen einer wilden » stierischen« Orgie.
    Zweites Beispiel: der Werwolf. Von Wolfsmenschen, vor allem von Wolfskindern, also Kindern, die von Wölfinnen großgezogen wurden und dementsprechend verwildert waren, gibt es so viele Berichte zwischen Westeuropa und Indien, dass man in ihnen einen wahren Kern vermuten möchte. Nun ist es zwar grundsätzlich möglich, dass Wölfinnen ein Menschenbaby säugen, aber dass dieses dabei einigermaßen normal aufwächst, darf bezweifelt werden. Dessen waren sich auch die Verbreiter der Erzählungen von Wolfskindern bewusst, die meisten betonten die vierbeinige Fortbewegungsweise dieser Kinder. Dazu sind aber schon im Alter von wenigen Jahren die Beine viel zu lang. Zudem haben Menschenkinder ein natürliches Bedürfnis, sich aufzurichten und auf zwei Beinen zu gehen, weil das ihrem ganzen Körperbau entspricht.
    Doch wir brauchen in diesem Fall gar nicht so sehr ins Detail zu gehen. Denn Wolfskinder lassen sich weit wahrscheinlicher mit stark verwahrlosten Kindern erklären. Berichte von ihnen fallen bezeichnenderweise in die Jahrhunderte der Kleinen Eiszeit, die in Europa, und auch in Nordindien und in China, große Hungersnöte gebracht hatten. Märchen, wie etwa Hänsel und Gretel, beziehen sich darauf. Und die Gründung Roms durch die beiden Knaben Romulus und Remus, die eine Wölfin gesäugt haben soll, werten die Historiker ohnehin ganz anders. Denn als » lupa« (= Wölfin) waren in frührömischen Zeiten die Huren bezeichnet worden. Was das Gedeihen von Romulus und Remus hinlänglich gut begründet, Rom aber mit der säugenden Wölfin von der Darstellung einer Hure, die ihre Brüste mütterlich den beiden Knaben gibt, befreit. So weit die Wolfskinder als Vorstufe zum Werwolf.
    Dieses » reißend wie ein Wolf«

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