Naturgeschichte(n)
weckt ein Gefühl der Hilfsbedürftigkeit. Biber sind in Märchen und Kindergeschichten als stets wohlwollende Figuren enthalten, sie gehören als » kleiner Bruder« zur Indianer-Romantik das 19 . Jahrhunderts. Hierzulande weiß man kaum, dass Biber im Stadtwappen von New York enthalten sind und zur Erschließung des nördlichen Nordamerika weit mehr beigetragen haben als die Bisons – zu Biberfell-Mützen verarbeitet und unfreiwillig natürlich.
Typen wie » Buffalo Bill« rotteten die Bisons nicht aus Schieß- und Mordlust aus, sondern um den verhassten Prärie-Indianern die Lebensgrundlage wegzunehmen. Genau in jener Zeit, Ende des 19 . Jahrhunderts, wurde der Biber auch bei uns in Europa ausgerottet. Nicht etwa um auch noch das letzte Fell zu bekommen. Die Ausrottung hing mit einem ähnlichen Aberglauben zusammen, wie wir ihn heute den Chinesen vorwerfen, wenn sie Tigerknochen als Potenzmittel betrachten und damit den Tiger in der freien Natur zu vernichten drohen. Vor 150 Jahren riss man sich hierzulande um das sogenannte » Bibergeil«. Und vielleicht wirkte ja dieser » Stoff« immer noch unbewusst in der mitteleuropäischen Wertschätzung des Bibers nach.
Bibergeil entsteht als Drüsensekret am After des Bibers. Es riecht moschusartig, also » männlich sexuell«, und enthält eine aspirinartige Substanz, die aus der Weidenrinde stammt, von der Biber sich vor allem im Winterhalbjahr an unseren Flüssen ernähren. Die Biber verwenden es zum Markieren ihres Reviers. Möglicherweise erriecht ein fremder Biber, wenn er an einem Häufchen Bibergeil am Ufer schnüffelt, den Gesundheitszustand des Revierinhabers. Viel » Aspirin« und mit den männlichen Sexualhormonen garniert heißt sehr gesund, weil der Stoff nicht verbraucht worden ist – der Chef im Revier ist also topfit. Ob die mitteleuropäische Männerwelt so etwas im 18 . und 19 . Jahrhundert tatsächlich so nötig hatte, dass viele Goldmark bezahlt wurden, muss offen bleiben.
Die letzten Biber erzielten Tausende von Mark pro Tier, schon allein aufgrund ihrer Seltenheit. Denn mit der Ausrottung steigt der Preis. Eine fatale Todesspirale. Nur an wenigen Stellen überlebten Reste der einst über fast ganz Europa verbreiteten Biber, so in einer schwer zugänglichen Region in Südostnorwegen, an der Elbe zwischen Dessau und Magdeburg und an der unteren Rhone, wo die Biber nicht auffielen, weil sie sich nahezu ausschließlich von grasiger Ufervegetation ernährten und nachtaktiv blieben. Jeder Restbestand enthielt weniger als 100 Tiere. Ende des 19 . Jahrhunderts schien der europäische Biber zum endgültigen Aussterben verurteilt.
Doch Anfang des 20 . Jahrhunderts fing man in Schweden bereits mit der Rückführung der Biber aus dem Nachbarland Norwegen an. Mit Erfolg. Hierzulande ließen der Zweite Weltkrieg und die Aufbaujahre der Nachkriegszeit nicht einmal den Gedanken an eine Wiederkehr der Biber aufkommen, bis Hubert Weinzierl Ende der 1960 er Jahre den Plan dazu fasste und mit dem Bund Naturschutz in Bayern sowie unter Einsatz umfangreicher Spendengelder den Flugzeugtransport von Bibern aus Schweden ermöglichte. 1970 begann sodann die Erfolgsgeschichte, denn eine solche wurde das Comeback der Biber in der Tat. Andere deutsche Bundesländer und Österreich zogen nach. Auch die meisten Staaten in Mittel- und Mittelosteuropa.
Die anfänglichen Befürchtungen, etwa dass unsere Bäche und Flüsse längst zu naturfern geworden seien, um den Bibern einen geeigneten Lebensraum zu bieten, erwiesen sich als Schwarzmalerei – wie so oft, wenn am Anfang das » Ja, aber …« steht. Es gab genug Weichhölzer an den Fließgewässern, die als Winternahrung für die Biber benötigt werden. Von der Rinde, nicht von Holz und Borke leben sie, wenn es am Ufer kein frisches Grün und auch keine Unterwasserpflanzen mehr gibt.
Der Biber ist reiner Vegetarier. Auch das kam ihm zugute, denn hätte er auch nur gelegentlich Lust auf einen Fisch, wäre er für die Angelfischerei sogleich verdächtig gewesen. Wie der Fischotter, den man fast gleichzeitig mit dem Biber in weiten Teilen Europas ausgerottet hatte. Seine Rückkehr klappt mehr schlecht als recht, eben weil er Fische zum Leben braucht.
Die Weichhölzer, wie Weiden und Pappeln, gönnt man dem Biber, es sei denn, er fällt sie so, dass sie zum Hindernis werden. Legt er andere Bäume um, kann die Zustimmung in Skepsis übergehen oder gar zur Vertreibung führen. Verglichen mit den schon an die 40 000 bis 50 000
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