Nauraka - Volk der Tiefe
Hoffnungen.«
»Die haben wir schon lange verloren …«
Laoren merkte, dass sein Gast rasch ermüdete. Er klopfte die Pfeife aus und erhob sich; mit seinem krummen Rücken konnte er sich einigermaßen in der Hütte bewegen. »Was ist passiert, dass du so über Gebühr erschöpft bist?«
»Zu viel«, sagte der Nauraka leise. Dann wurde er wieder bewusstlos.
Als der Nauraka das nächste Mal erwachte, war er bedeutend munterer. In erster Linie hatte er wohl Schlaf benötigt, denn nun konnte er sich ohne Schwierigkeiten aufrichten und die Beine anziehen.
»Mir tut alles weh«, gestand er mit seiner ungewohnt klingenden Stimme und dem noch auffälligeren Dialekt. »Das Lager ist sehr hart. Ich habe immer in einem Hängenetz geschlafen ... und wir kennen ohnehin keine Schwere.«
Laoren grinste. »Dein erstes Mal?«
»Ja.« Erenwin sah sich um. »Das ist alles sehr ärmlich hier, wie bei den Verbannten.« Sein Gesicht zeigte einen Ausdruck des Entsetzens, als er sah, dass Laoren ihm einen einfachen Kittel mit Gürtel angezogen hatte. »Was sind das für Lumpen? Wo sind meine Sachen?«
»Gut verwahrt. Wie du siehst, bin ich kein reicher Mann. Es wäre nicht gut, wenn sich herumsprechen würde, dass ein vermögender junger Mann Gast bei mir ist.«
»Ich habe kein Geld.«
»Das ist mir auch schon aufgefallen.«
Ein beunruhigender Funke blitzte in den glasschwarzen Augen des Nauraka auf. »Du wolltest mich berauben?«
»Immerhin habe ich dir das Leben gerettet, oder nicht?«, erwiderte Laoren leichthin. Er entzündete seine Pfeife. »Du hast bisher wohl recht behütet gelebt.«
»Ich bin Prinz Erenwin von Darystis«, schnaubte der Nauraka. »Ich hatte stets Respekt und Bedienung!«
»Aber kein Geld.«
»Nein. Ich brauchte keines, denn ich hatte alles, was ich wollte.«
Laoren lehnte sich zurück. »Also schön, mein stolzer junger Freund namens Prinz Erenwin von Darystis, dann erkläre ich dir, wie das bei mir läuft: Dein Adel und hoher Rang interessieren mich nicht im Mindesten. Nur Geld, denn damit kann ich mir alles kaufen, was ich will, auch Respekt.«
Daraufhin schwieg Erenwin eine Weile, und Laoren vermutete, dass er über die Unterschiede zwischen Wasser und Land nachdachte. Dann versuchte er aufzustehen. Allerdings hatte er noch nicht geübt, die Beine unabhängig voneinander zu bewegen, und so kippte er sofort wieder um.
Laoren amüsierte sich prächtig, so viel Spaß hatte er schon seit Jahren nicht mehr gehabt. Erenwin betrachtete seine bloßen Füße, tastete die halbnackten Beine ab und probierte nacheinander seine Muskeln aus. Schließlich konnte er gezielt den linken oder den rechten Fuß hochheben und strahlte glücklich.
Noch vor dem Mittagessen konnte er gehen.
»Was passiert, wenn das ganze Blut in den Füßen ist?«, fragte er ratlos, während er noch ein wenig unsicher schwankend die Hütte verließ. Draußen richtete er sich zu seiner vollen Größe auf und staunte nur so über sein neues Körperbewusstsein.
»Es kommt auch wieder zurück«, versicherte Laoren grinsend. »Ist wohl ein ganz neues Gefühl, senkrecht und nicht mehr waagrecht zu sein, wie?«
»Vor allem, wie schwer alles fällt, wie langsam jede Bewegung ist. Ich glaube aber, man kann sich schnell daran gewöhnen«, erwiderte Erenwin und schritt schon sehr viel sicherer aus.
Laoren musste zugeben, dass der junge Meerling sehr geschickt und anpassungsfähig war. Seine Bewegungen zeugten bereits schon jetzt von Anmut. Der alte Mann musste zugeben, dass die Legenden über die Nauraka nicht zu Unrecht bestanden. Sie waren wahrhaftig ätherische, ganz besondere Geschöpfe. Was für ein unvermuteter Glücksfall!
Er gab seinem Gast von dem zu essen, was der Gemüsegarten hergab, und dazu rohen Fisch, den er heute Morgen aus der Reuse geholt hatte. Den Fisch verschlang der Nauraka sofort, das Gemüse hingegen beäugte er misstrauisch. Doch er sah wohl ein, dass er nicht viel Auswahl hatte, und knabberte vorsichtig daran. Mit der Zeit würde sein Magen sich auf die neue Nahrung einstellen, da war Laoren sicher.
»Ich muss bald aufbrechen«, sagte Erenwin, nachdem er den Teller geleert hatte. »Meine Suche fortsetzen.«
»Nicht so schnell, junger Freund«, erwiderte Laoren. »Du schuldest mir was für deine Rettung.«
»Gilt bei euch Landgängern das Gastrecht denn gar nichts?«, schrie der Nauraka ihn zornig an und stand auf.
»Oh, durchaus«, versetzte Laoren gleichmütig. »Wer es sich leisten kann ... doch zu denen
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