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Nauraka - Volk der Tiefe

Nauraka - Volk der Tiefe

Titel: Nauraka - Volk der Tiefe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uschi Zietsch
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Ring Matrosen, bewegen. Immerhin hatte der Händler verfügt, dass niemand sie anrühren durfte, auch Horwik nicht, der von seinem Kapitänsrecht Gebrauch machen wollte.
    »Sie ist sehr zerbrechlich und hat große Furcht vor der Nähe eines Mannes«, warnte er seinen Geschäftspartner. »Ich werde kein Risiko eingehen, das ihren Preis mindert, nur weil Ihr brünftig wie ein Hirsch seid. Bis Nuramar könnt Ihr es abwarten.«
    Um Palongs Ansicht zu untermauern, zeigte Lurdèa sich nun erst recht empfindsam und scheu, wobei sie sich nicht einmal besonders verstellen musste. Je näher sie dem Sklavenmarkt kamen, umso verzagter wurde sie. Sie musste ständig an ihren Bruder denken, und die Sehnsucht nach dem Meer fing an, sie zu zermürben. 
    Auch mit dem stets gut gelaunten Berenvil wollte sie sich am Ende des zweiten Tages nicht mehr unterhalten, sondern starrte nur ununterbrochen auf die See hinaus.

    Am Morgen erwachte Lurdèa durch die Unruhe rings um sie. Horwik brüllte Befehle, die Besatzung lief aufgescheucht umher, und auch die Sklaven erwachten plötzlich zu Leben und schnatterten durcheinander.
    »Was ist los?«, fragte die Nauraka verschlafen. Sie fühlte sich jeden Tag müder, ihr Körper mochte sich nicht an den harten Boden gewöhnen und schmerzte nach wie vor.
    »Sieh doch hin«, forderte Berenvil sie auf und deutete nach links.
    Lurdèa richtete sich auf, zog sich an den Gitterstäben hoch und verharrte staunend.
    Das also war mit »Seerose« gemeint … es war tatsächlich eine! Ein riesiges, weit ausladendes, dunkelgrünes Blatt lag auf dem Meer, auf dem es viele gitterförmige Aufbauten aus stabilem, jedoch leichtem, hohlem Rundholz gab, mit bunten Dächern aus Segeltuch als Sonnenschutz und aneinandergereihte Hütten. Aus der Mitte des Blattes wuchs ein Stiel von mehreren Mannslängen Höhe, und darauf saß eine gewaltige weiße Seerosenblüte, auf deren halb geöffneten Blättern eine Art Palast errichtet worden war, mit Wandelbögen, Verbindungsstegen und luftigen Gemächern, in deren Fenstern bunte Vorhänge wehten, mit Erkern und Türmchen. Lurdèa glaubte, Gestalten an den Fenstern zu sehen, die mit Tüchern winkten.
    »Der Zugang ist nur per Fallreep möglich«, erklärte Berenvil amüsiert. »Nuram der Zweite hat viele Töchter, die er eifersüchtig bewacht.«
    Lurdèa merkte, dass ihr Mund offenstand, und nahm sich verlegen zusammen. »So etwas habe ich noch nie gesehen«, gestand sie.
    »Kein Wunder, denn es gibt nicht viele von ihnen«, erwiderte er. »Was ich so auf meinen Reisen hörte, wohl nicht mehr als fünf in der ganzen Umschließenden See. Alle sind in der Hand einer einzigen Familie, die in enger Verbindung zu der Pflanze steht, sie hegt und pflegt und dort oben im Palast wohnt. Sie verlassen die Seerose niemals, kreuzen ihr ganzes Leben lang auf dem Meer und treiben Handel, nichts als Handel. Jeden Tag, auch nachts, ohne Unterlass. Hier gibt es keine Beschränkungen, keine Zölle und Steuern, man kann Arbeit suchen, sich dem Vergnügen hingeben oder glücksspielen – alles ist möglich.«
    Bald füllte Nuramar den gesamten Horizont aus, es mussten tausende Leute darauf Platz haben. Der Blattrand schien in die Höhe zu wachsen, je näher sie dem Gebilde kamen, viele Mannslängen hoch, ein unnachgiebiges Bollwerk gegen anstürmende Feinde und wogende Wellen.
    Lurdèa sah rote Adern am Blattrand entlanglaufen, die sich nach oben zu vielfach verästelten, zur Unterseite hin jedoch immer heller und dicker wurden, als würden sie verknorpeln. Die obere Kante wies lanzenartige Spitzen auf, die laut Berenvil tödlich scharf waren.
    Von überall her kamen Schiffe, auch Boote von in der Nähe treibenden Plattformen, auf denen Seevölker wie auf Inseln lebten, Siedlungen errichtet hatten, sogar Gärten und Wälder pflegten, Ackerbau und Viehzucht betrieben. Obwohl sie keinerlei Reichtümer besaßen, ging keiner von ihnen unbewaffnet, und sie galten selbst unter Piraten als gefürchtet. 
    Lurdèa lauschte Berenvils Erzählungen, während sie alles staunend in sich aufnahm. Sie glaubte ihm, dass die Schwimmenden Seevölker keinen Kampf scheuten, denn Männer wie Frauen traten selbstbewusst, mit verschlossenen, fast finsteren Mienen auf. Sogar die Kinder waren bewaffnet und zeigten denselben ernsten, misstrauischen Gesichtsausdruck.
    Horwiks Schiff legte an, aus einer Öffnung im Blattrand wurde eine Planke ausgefahren, und dann begann sofort das Löschen der Ladung. Palong und Horwik

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