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Nauraka - Volk der Tiefe

Nauraka - Volk der Tiefe

Titel: Nauraka - Volk der Tiefe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uschi Zietsch
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Hintergedanken, doch in höfliche Worte gekleidet): »Ihr braucht doch Gesellschaft, und Freunde.«
    »Ich brauche niemanden«, lehnte Erenwin ab. »Es gibt nur die Suche.«
    Und bei seiner letzten Abreise fügte er hinzu: »Mir bleibt nicht mehr viel Zeit.«
    Allem Anschein nach hatte er wohl recht damit. Seine Stimme veränderte sich, sein Gesicht verformte sich, der Mund wurde länger, die Nüstern größer, und die Zähne wuchsen. Sein Atem ging schwerer, rasselnder, und ein seltsames Glühen lag manchmal in seinen glasschwarzen Augen. Noch immer besaß er sein langes helles Haar, doch nichts sonst erinnerte mehr an den Nauraka, der einst das Meer verlassen hatte. Und manchmal war er auch nicht mehr er selbst, verhielt sich mehr wie ein Tier, und konnte sich hinterher an nichts mehr erinnern.
    Fortan mied er die öffentlichen Wege, fing an, in den Wäldern zu jagen und sich selbst zu versorgen. Noch immer trug er seine auffällige, unverwüstliche Prinzenkleidung, doch sie würde ihm wohl nicht mehr lange passen. 
    Das Pferd war treu und brav, ihm war es gleich, wie sein Herr aussah, und es hatte auch nicht unter ihm zu leiden. Zur Nachtruhe durfte es frei grasen, und am Morgen wartete es in der Nähe seines Herrn. Als Erenwin eines Tages feststellte, dass das Pferd zu alt und gebrechlich geworden war, um ihn weiterhin zu tragen, nahm er ihm den Sattel ab, jagte es davon und ging zu Fuß weiter. Drei Tage folgte ihm das Pferd, bis er es in felsenreichem Gebiet endlich abschütteln konnte.
    So verschwand der Barfüßige Reiter aus der Sicht der Menschen und anderen Völker, aber keineswegs aus den Legenden, die sich weiterhin mit immer neuen Verzweigungen um ihn rankten und ihren Weg bereits weit über die Grenzen Nerovias hinaus fanden. Eine so romantische und tragische Geschichte hatte es schon lange nicht mehr gegeben – noch dazu von einem Nauraka, die bis zu diesem Zeitpunkt als ausgestorben gegolten hatten.

    Erenwin erreichte eines Tages das große Grenzgebirge von Nerovia, dessen letzte Ausläufer bereits bis nach Valia hinein reichten. Auf dieser Seite hieß es Himmelskönig, benannt nach den Riesengreifen, die hier lebten, und die als Botentiere der Götter galten. Es hieß, dass die Götter manchmal auf den höchsten Gipfeln verweilten, um sich ihrer Schöpfung nahe zu fühlen.
    Die Sonne, Lúvenors Auge, begleitete den Nauraka jeden Tag. Er konnte sie selbst hinter Wolken und in Regenschauern spüren und fühlte sich getröstet. Der Himmel mit seinen Sternen war hier besonders nah, und oft sah er stundenlang hinauf, erinnerte sich an seine Jugendträume, und betrachtete den weithin strahlenden Siebenstern. 
    Die Witterung spürte er kaum mehr, entsprechend wenig machte es ihm aus, ohne besondere Ausrüstung weiter nach Norden zu gehen, immer tiefer ins Gebirge hinein, wo stürmische Winde wehten und Schnee lag. 
    Wenn er von hier aus auf dem Ausläufer einer Reichsstraße nach Westen wanderte, erreichte er den Domgar. Auf dem Gipfel des Erleuchteten Berges sollte ein Burgherr leben, der als Weiser galt, weil sein Blick weit über die Welt reichte. Berenvil war sein Name, und er war in vielen Teilen Nerovias ein geachteter Mann. 
    Zu ihm wollte Erenwin gehen, um sich einen letzten Rat zu holen, bevor die Wandlung zum Ungeheuer abgeschlossen war. Er wusste nicht mehr weiter, niemand hatte ihm helfen können. Kein Augur, kein Thaumaturg, kein Magier. Über Berenvil sagte man, dass er ein Mächtiger sei, und so wurde er zu Erenwins letzter Hoffnung und Zielpunkt. 
    Auch das Flüstern der Schwarzen Perle drängte ihn dazu, so hatte er den Eindruck. In all den Jahren hatte er nie gelernt, sie zu verstehen, hatte mit ihr gehadert und sie verflucht, doch sie war auch Antrieb und Lebenskraft gewesen. Noch immer gab es für sie etwas zu erledigen, ihr Drängen hatte nie nachgelassen, und Erenwin hoffte, dass sich die Antworten endlich auf dem Domgar finden würden, der als magischer Berg galt. Viele Schicksale hatten sich dort wohl schon erfüllt.

    Erenwin nahm eine Abkürzung über einen Felsgrat, als die Straße einen weiten Bogen um einen Berg machte. Er folgte einem schmalen Ziegenpfad, als er plötzlich einen Schrei über sich hörte und mit einem schnellen Blick nach oben einen wirbelnden Punkt erfasste, der sich rasch näherte. Er streckte unwillkürlich die Arme aus, und im selben Moment plumpste eine gedrungene Gestalt mit blitzenden blauen Augen und beginnendem Bartwuchs hinein.
    »Huii«,

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