Nauraka - Volk der Tiefe
Zwergenfrauen«, grinste Hagvinns Vater und entzündete eine Pfeife.
Sein Aussehen schien den Zwergen nicht allzu viel auszumachen, und sie gingen völlig natürlich mit ihm um. Erenwin konnte sich nur wundern.
Hagvinns Schwester hatte zuerst zwar ein wenig erschrocken dreingeschaut, ihre Scheu aber schnell überwunden und bestürmte ihn mit Fragen über seine Abenteuer, die sie als »Heldentaten« bezeichnete. Sie steckte allerdings den Kopf ein, als Erenwin sie anfauchte:
»Es ist keine Heldentat, jemanden zu töten! Erst recht nicht so, wie ich es tat.« Er hielt die Faust hoch und spannte die Muskeln an. »Zwischen diesen Fingern zermalmte ich Kinderknochen. Da gibt es nichts zu verklären!«
»Doch«, wisperte sie in die verlegene Stille hinein. »Eure Suche, Erenwin Dugar.«
»Pah!«, brummte Hagvinns Vater. »Glaubt Ihr, ich habe noch keine Köpfe gespalten? Irgendeinen Krieg gibt es doch immer, und ich bin zweihundertzwanzig Jahre alt. Einhundertfünfzig Jahre davon war ich Söldner, so wie Ihr, bis mein Weib mich bekehrte, und nun lebe ich hier in Frieden. Auch für unsereins gibt es Vergebung.«
»Von wem?«, fragte er ruhig.
»Die Erlösung von Eurem Fluch wird Eure Erlösung sein«, erklärte Hagvinns Schwester mit rosigen Wangen.
Erenwin gab resigniert auf, es ging einfach nicht in ihre Köpfe, weil sie es nicht gesehen hatten. Keiner von ihnen war dabei gewesen. Er hatte nie einen Überlebenden zurückgelassen, der von den Gräueln berichten konnte. Die Menschen hatten den Schrecken in eine Heldengeschichte gewandelt, nachdem er aus ihren Landen verschwunden war, und die Zwerge hatten sie übernommen. Da war einfach nichts zu machen. Schweigend aß er weiter.
Hagvinns kleiner Bruder fand, es wäre das schönste Geburtstagsgeschenk überhaupt, dass er den berühmten Dugar Schwarzfels beherbergte, und unterstützte seine Schwester bei den Fragen.
»Wollt Ihr Eure Rüstung nicht ablegen, Herr?«, fragte er eifrig, vermutlich wollte er sie genau untersuchen und vielleicht sogar selbst anprobieren, obwohl er Erenwin gerade mal an die Hüfte reichte. »Es ist doch recht warm hier drin, und Gefahr droht Euch auch nicht.«
»Das ist keine Rüstung«, knurrte er ungehalten. »Diese Verhornungen sind Teil meines Körpers.«
»Oh.« Der Junge riss die Augen auf, dann verließ er seinen Platz und eilte um den Tisch. »Darf ich?«
Bevor Erenwin es verhindern konnte, berührte der Kleine ihn, klopfte gegen die Auswüchse, die einen tönernen Klang von sich gaben. »Spürt Ihr das?«
»Ich spüre gar nichts, und jetzt scher dich wieder auf deinen Platz.«
Der junge Zwerg flüchtete kichernd und starrte Erenwin den Rest des Abends verträumt an.
Erenwin mutete das alles seltsam an, und er fühlte sich zusehends hilfloser. Schon lange hatte er keine solche Nähe zu anderen mehr gestattet, erst recht keiner Familie mit Kindern. Er war ein tödlicher Krieger, der nach erledigtem Auftrag einsam weiterzog, nie blieb, um an einem Bankett teilzunehmen oder sich feiern zu lassen. Wie sollte er sich hier nun verhalten? Er war viel zu wortkarg, um lange Geschichten preiszugeben, zu denen Hagvinns Schwester ihn weiterhin hartnäckig drängte, und er wollte es ohnehin nicht. In ihnen ging es nur um Tod und Folter, so etwas sollte nicht bewahrt werden. Daran, dass er früher, schon als Jugendlicher, Kinder mit seinen Erzählungen begeistert hatte, erinnerte er sich kaum noch. Warum hatte er das überhaupt getan?
Schließlich war es Zeit zum Schlafengehen, und Erenwin zog sich auf das Gastlager zurück, auf dem er einigermaßen Platz fand, wenn er sich entsprechend zusammenrollte.
Noch vor dem Morgengrauen stand er auf. Die Mutter war bereits wach und bereitete das Morgenmahl vor. Erenwin dankte ihr für die Gastfreundschaft und sagte abschließend: »Ich muss jetzt gehen.«
»Wohin?«, fragte sie.
»Nach Domgar.«
Sie nickte. »Ja, das ist gut. Vielleicht der beste Weg für Euch, Herr Erenwin.« Sie berührte vorsichtig seine steinernen Auswüchse. »Tut es nicht doch weh?«
»Nein, überhaupt nicht. Ich spüre so gut wie nichts mehr, weder innen noch außen. Ich denke, die Wandlung ist bald abgeschlossen, und dann mögen die Götter wissen, was aus mir wird. Vielleicht kann ich sogar meinen Fluch nicht mehr erfüllen und werde die Länder als dunkler Schrecken heimsuchen, als Albtraumwesen, das niemals Ruhe finden wird.«
Die Zwergin lächelte ihn gütig an. Sie war ein rosiges Geschöpf mit wohlgerundeten
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