Nauraka - Volk der Tiefe
machte der junge Zwerg, er mochte so etwa siebzehn Frühlinge zählen, »das nenne ich aber eine geglückte Landung!«
Erenwin stellte ihn auf den Boden. »Wolltest du das Fliegen ohne Flügel lernen?«
»Also, offengestanden wollte ich ein paar Steinhuhneier aus einem Nest holen, als Leckerbissen für meinen kleinen Bruder, der heute Geburtstag hat. Aber ich habe meine Kletterkünste wohl überschätzt.« Der Zwerg grinste, klopfte sich ab und blickte unbefangen zu Erenwin hoch. »Danke für meine Rettung, du hast meiner Mutter schweren Kummer erspart. Ich bin übrigens Hagvinn.«
»Erenwin.«
»Klar bist du Erenwin. Wer sonst sieht so aus wie Erenwin Dugar? Glaub nicht, dass wir hier völlig abgeschieden leben, natürlich wissen wir alles über dich.«
»Dann solltest du besser Furcht empfinden«, knurrte Erenwin.
»Entschuldigung, aber du hast mich gerettet, nicht umgebracht, also was sollte daran fürchterlich sein? Und wer weiß, was an diesen Geschichten alles dran ist. Meine Schwester schwärmt im Übrigen fast jeden Tag von dir. Na, ich bin ja mal gespannt, wie sie reagiert, wenn sie dich sieht.« Hagvinn lachte schallend. »Ich glaube, ganz so hässlich stellt sie sich dich nicht vor.«
»Ich werde mit jedem Tag hässlicher«, sagte Erenwin. »Früher war ich ein recht passabler Bursche.«
»Ha! Du wirst meinem Vater gefallen. Komm mit, ich stelle dich meiner Familie vor.«
»Das geht nicht, ich muss weiter.«
Hagvinn schüttelte energisch den Kopf. »Rede keinen Unsinn, du hast mir das Leben gerettet, und damit bist du verpflichtet, die Kochkünste meiner Mutter kennenzulernen. Außerdem wird es bald dunkel, und wenn ich mir die gelbschwarzen Wolken da hinten so ansehe, wird wohl bald der erste Schnee des Jahres fallen.«
Hagvinn ließ Erenwin überhaupt keine Wahl, und so folgte er zu seinem eigenen Erstaunen dem munteren jungen Zwerg bis zu einer Berghütte, die am höchsten Punkt einer weit verstreuten kleinen Stadt lag. »Lugar ― klein, aber unser ganzer Stolz. Benannt nach Lugdur, unserem listenreichen Gott. Du brauchst nicht zufällig Kleidung, Waffen, Schmuck?«
»Nein.«
»Aber ein bisschen mehr Fröhlichkeit, was?«
»Wenn ich dich über den Felsgrat hinunterwerfe, könnte ich mich vielleicht zu einem Lächeln durchringen.«
»Ah! Du wirst meinem Vater wirklich gefallen!«
Hagvinn lief voraus auf die Hütte zu, rief nach seiner Familie und setzte sie mit wenigen Worten in Kenntnis. Die Eltern und Geschwister drängten sich am Eingang und starrten ihn an, doch dann winkte Hagvinns Vater ihn herein.
Erenwin blieb zuerst abwartend stehen, ohne sich erklären zu können, warum er das tat, aber ehe er sich versah, stand er plötzlich in der warmen Stube, die ein wenig niedrig für ihn war, und wo jeder noch so kleine Platz, auch die Deckenbalken, für allerlei Krimskrams genutzt wurde. Er hatte noch nie eine Einladung angenommen und sollte gar nicht erst damit anfangen, aber dem duftenden Eintopf konnte er nicht widerstehen. Sein feiner Geruchs- und Spürsinn hatte unter der Veränderung nicht gelitten, und es tat wohl, einmal etwas … Gutes zu spüren.
Seine Füße führten ihn zu einem Stuhl am Tisch, und dann saß er.
Zögernd fragte er: »Wie könnt Ihr mir Gastfreundschaft gewähren? Ich bin ein Schlächter und Mörder, ich habe immer nur Tod und Vernichtung hinterlassen, wohin ich meinen Fuß setzte.«
Hagvinns Vater musterte ihn aus hellwachen Augen. »Es ist Euch vielleicht nicht bewusst, aber es ist schon Jahre her, seit Ihr aus den besiedelten Gebieten verschwunden seid. Manche hielten Euch schon für tot. Inzwischen ranken sich ganz andere Geschichten um Euch, wie etwa, dass Ihr die Verbrechen sühnen wollt, die Ihr begangen habt.«
Erenwin stieß einen trockenen Laut aus. »Ich sühne gar nichts. Was ich getan habe, kann nicht gesühnt werden, nur gestraft. Auf der Suche bin ich, sonst nichts.«
»Esst«, sagte die Zwergenmutter und rückte auffordernd seine Schale zurecht. »Was vergangen ist, ist vergangen. Ihr seid nicht der Einzige, der in Blut gewatet ist. Und erst recht nicht der Schlimmste, das sind eher diejenigen, die Euch zu diesen Taten beauftragten. Ihr habt getan, was jeder Söldner tut. Und heute habt Ihr meinen Sohn gerettet, und dafür müsst Ihr meinen Dank annehmen.«
Unsicher gab er nach. Er konnte etwas zu essen vertragen.
»Ich habe schon davon gehört, dass man den Zwergen nicht widerstehen kann«, murmelte er.
»Und noch weniger den
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