Nauraka - Volk der Tiefe
weiblichen Formen, und trug wie alle Zwergenfrauen die lange Haartracht zu einer komplizierten Frisur hochgesteckt, und kunstvoll bestickte Kleidung. Erenwin hatte schon von der Klugheit der Zwergenfrauen und ihrer magischen Anziehungskraft auf Männer aller Völker gehört. Zwerge allgemein schienen sehr unkompliziert und von heiterer Wesensart zu sein, die für alle Dinge eine Erklärung hatten und niemals in Trübsal versanken.
»Ihr werdet erlöst, Erenwin, und das sage ich nicht nur, um Euch zu trösten. Es gibt immer Erlösung, weil Euch noch eines geblieben ist.«
Erenwin fühlte sich an seinen lange verstorbenen Onkel Turéor erinnert, den er immer noch vermisste. Auch jener hatte ihm das einst gesagt. »Ich weiß nicht, was das ist.«
»Ihr werdet es erkennen, wenn es so weit ist.« Einen letzten Rat hatte sie noch, bevor er aufbrach: »Hütet Euch vor den Krahim.«
Hagvinn würde vermutlich enttäuscht sein, wenn Erenwin schon fort war, doch seine Eltern würden ihn hoffentlich daran hindern, ihm zu folgen.
Worüber mache ich mir Gedanken? , dachte Erenwin. Kinder bedeuten mir nichts. Kinder, Familie, das war etwas für die Menschen, Zwerge und das eine oder andere Alte Volk. Aber damit hatte er nichts zu tun. Insoweit war er immer noch Nauraka – auch bei ihnen gab es immer weniger Kinder. Sie waren ein sterbendes Volk, da war nichts mehr zu machen, und Erenwin hatte das Naurakische schon lange verloren. Es brauchte ihn nicht mehr zu bekümmern, es gab nur ihn und die Schwarze Perle und seine Suche.
In der Ferne konnte er schon den weißen, alles überragenden spitzen Gipfel des Domgar sehen, der unverwechselbar einsam und abgeschieden am Rand einer Gebirgskette aufragte.
Weit abseits davon verlief die Reichsstraße, und Erenwin entschied, weiter quer durchs Gebirge zu wandern. Er fühlte sich in der zunehmenden Höhe wohl, wenn er das so als seine Empfindung behaupten konnte, die pfeifenden Winde taten ihm gut, da ihre Strömungen ihn ein wenig an das Meer erinnerten. Es war auch angenehm, endlich der Hitze des Tieflandes zu entkommen, obwohl er sich im Lauf der Zeit besser daran gewöhnt hatte. Sein verkrusteter Hautpanzer schützte ihn vor Hitze und Kälte gleichermaßen, aber das Atmen hier in der Kühle fiel leichter.
In der Nacht hatte es tatsächlich ein wenig geschneit, und Erenwin betrachtete die weiße Schicht mit seltsamer Neugier, ließ seine Finger durch die schmelzende Kälte gleiten und probierte sogar davon. Das war eine ganz neue Erfahrung, viel besser als Regen. Anfangs hatte er unter dem Regen gelitten, der von oben auf ihn herunterprasselte, seine Kiemen hatten sich irritiert immer wieder aufgeklappt und geschlossen, und auch seine Haut fühlte sich unangenehm berührt von Nässe, die nicht umschließend und gleichmäßig war.
Doch als hier der Schnee in sanften, dicken Flocken niederfiel, während er weiter aufstieg, empfand er es wie eine zärtliche Berührung der See, leicht wie ein Hauch nur und nicht mehr als eine Erinnerung, aber doch ein Trost.
Vor allem der Blick in die Weite wurde immer interessanter, die Welt dort unten mit ihren Kümmernissen und Kriegen wich zurück und machte einer Leichtigkeit Platz, die er zuletzt als unschuldiger Jüngling empfunden hatte.
Der Pfad führte einen schmalen Grat entlang, über dem sehr große Krähen schwebten. Das Gefieder war schwarz wie Vulkanschlacke, Schnabel, Augen und Beine Metallischblau. Ihre rauen Rufe schallten durch die Berge und kamen als vielfaches Echo zurück. Von Nestern in schwindelnder Höhe schwangen sich weitere herab und schlossen sich kreischend den anderen an. Ein ganzer Schwarm kreiste nun über Erenwin und machte ihm deutlich, dass er ein unerwünschter Eindringling war. Einige von ihnen wagten sich immer näher heran, bis Erenwin ungeduldig mit dem Arm nach ihnen schlug. Daraufhin flatterten sie misstönend schimpfend hoch und kehrten zu den anderen zurück.
Der schmale Grat zog sich wie eine auf und ab führende Brücke über eine weite Strecke zwischen zwei Bergketten entlang. Ein herrlicher Weg, der Erenwin zum ersten Mal seit der Flucht aus Karund so etwas wie Heiterkeit und fast Unbeschwertheit bescherte. Er hatte keinerlei Probleme das Gleichgewicht zu wahren, und seine langen Zehen fanden zudem problemlos Halt. Er setzte Fuß vor Fuß, scharfe Kanten störten ihn nicht, und kam so schnell voran.
Eine schwarze Wolke aus Krähen kreiste über ihm, und es wurden immer mehr. Allmählich wurde er
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