Nayidenmond (German Edition)
Iyen ihn zuvor hinter sich hergezogen hatte. Er brauchte lange, bis er den Waldrand erreichte und noch viel länger, bevor er fähig war, den Schutz der Bäume zu verlassen und über das steile Ufer zum Wasser zu klettern. Alle paar Augenblicke schreckte er hoch, suchte die Umgebung ab, ob er die Oshanta sehen konnte. Der Wald, gerade noch sein Schutz, war nun sein Feind, in dem sich die Gefahr verbarg. Das Zwitschern der Vögel, die zahllosen Insekten, die ihn umschwirrten, die kühle Feuchtigkeit, die vom Fluss aufstieg und so wohltuend war bei dieser schwülen Sommerhitze, die Lichtreflexe der Sonne, die durch dichtes Blätterwerk brachen und auf der Wasseroberfläche tanzten, der Geruch nach Nässe, Erde, vielfältige Pflanzen: All dies schlug auf seine Sinne sein. Noch nie zuvor hatte er die Welt so intensiv wahrgenommen wie jetzt, es war beängstigend – aber auch berauschend. Er lebte. Diese Männer hatten seinen Leib zerrissen, seine Seele gleich dazu, und dennoch: Er lebte.
Dank Iyen.
Rouven hatte irgendwann nicht mehr die Kraft, stehen zu bleiben und nach Angreifern zu spähen. Mit gesenktem Kopf fand er sich auf den Knien liegen, rang nach Atem und Selbstbeherrschung, um nicht vor Schmerz zu brüllen.
Ist wohl unausweichlich, dass ich mich beobachtet fühle, ich beobachte mich ja selbst die ganze Zeit, dachte er und stutzte verwirrt über seinen eigenen Gedanken. Geduld habe ich nicht und Zeit auch nicht wirklich, Iyen, murmelte er. Ich muss es wissen … Entschlossen biss er die Zähne zusammen, zerrte sich im Sitzen die Kleider vom Leib und glitt dann in das kalte Wasser hinein. Das betäubte die Schmerzen ein wenig, raubte allerdings noch mehr von seiner schwindenden Kraft. Er wusch sich flüchtiger als ihm lieb war. Es gab noch etwas, was er wissen musste, und dabei brauchte er wiederum Hilfe. Ob er sie nun haben wollte oder nicht. Seine sprunghaften Gedanken machten ihn regelrecht wahnsinnig, doch wie sollte er sich dagegen wehren? Rouven packte seine Sachen und schwankte nackt zurück zum Lager. Anziehen konnte er sich nicht, nicht jetzt.
Iyen hatte bereits alles verstaut, auf Rouven wartete noch eine Schale mit Essen. Einen Moment lang zauderte er. Die Schwäche seines Körpers wie seines Verstandes machten ihn wütend, wütend genug, um aufrecht zu bleiben. Er musste mit Iyen reden!
Und wenn er mich auslacht? Rouven beschloss fahrig, erst etwas zu essen. Hunger verspürte er keinen mehr, er wollte lediglich Mut sammeln, mit den Schmerzen fertig werden, vielleicht seine Gedanken ordnen. Es konnte nichts schaden, bei vollem Verstand zu sein …
Ohne etwas zu schmecken, aß er, erhob sich dann ächzend und ging zu Iyen hinüber, der unbeweglich wie ein Fels dasaß, weiterhin mit dem Rücken zu ihm gewandt. Rouven wäre lieber im Erdboden versunken, aber er wusste, es war richtig. Darum zwang er sich weiter, bis er vor Scham und Angst zitternd Iyen umrundet hatte und vor ihm stehen blieb.
Er blickte abwartend zu dem jungen Mann hoch, der seine Blöße unter seinem Hemd und seinen Schmerz hinter eiserner Entschlossenheit zu verstecken suchte. Selbstverständlich war er Rouven gefolgt, schon um sicher zu sein, dass er nicht versehentlich den Oshanta in die Arme lief. Er hatte beobachtet, wie Rouven zuerst vor Furcht erstarrt war, sich dann zu irgendetwas durchzuringen schien und in den Fluss stieg. Es war ihm schwergefallen, nicht einzugreifen, als Rouven sich so offensichtlich quälte, hatte aber auf seinen Instinkt vertraut, dass es eher geschadet als genutzt hätte. Die Kraft dieses Mannes war beeindruckend; Iyen hätte jeden Eid geleistet, dass Rouven aufgeben und um Hilfe rufen würde. Was genau er jetzt allerdings von ihm wollte, nackt und offensichtlich verlegen, war ihm ein Rätsel.
Hoffentlich verlangt er nicht, dass ich ihn nehmen soll! , dachte er entsetzt. Ob er etwas von seinem, Iyens, Verlangen gespürt hatte und es lieber gleich hinter sich bringen wollte als zu warten? Zu warten, bis der Mann, der ihm Schutz angeboten hatte die Beherrschung verlor und ihn zu vergewaltigen versuchte? Was noch viel wichtiger war: Würde er so einer Aufforderung widerstehen können?
„Iyen, ich möchte dich bitten ...“ Rouven hielt den Kopf krampfhaft abgewandt, wurde abwechselnd rot und blass. „Könntest du bitte nachsehen?“, stieß er dann endlich hervor. „Ob es eine Narbe geben wird, meine ich. Etwas, was zeigt, dass ich … entehrt und ...“
„Natürlich“, antwortete Iyen so
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