Nayidenmond (German Edition)
werden? Hass flackerte in ihm, ein Funken nur, zu mehr war er noch zu schwach. Doch es half, sich entschlossen auf die Seite zu drehen und nach seinem Gefährten Ausschau zu halten.
„Iyen?“, wiederholte er, diesmal etwas lauter.
„Still!“, zischte es von der anderen Seite. Einen Moment später tauchte das Gesicht des Oshanta über ihm auf. „Wenn du schon mal wach bist, kannst du gleich mal helfen.“ Iyen wirkte angespannt und finster, jegliche Wärme, die sich zuvor in seinen Blick geschlichen hatte, war von kalter Härte verdrängt worden. Er trug Rouven ein Stück, oder schleifte ihn vielmehr durch das Gras, ohne sich dabei aufzurichten.
„Sieh dort!“, flüsterte er in Rouvens Ohr, half ihm, sich hochzustützen und wies den Abhang hinab, auf dem sie sich befanden. Rouven konnte zuerst nur etwa zwanzig Pferde ausmachen und Männer, die dazwischen umherliefen.
„Mir ist schlecht, ich erkenne nichts“, stöhnte er verhalten.
„Konzentriere dich“, zischte Iyen gereizt, wechselte seinen Griff aber so, dass Rouven sich wesentlich bequemer anlehnen konnte. „Ich denke, das ist einer deiner Brüder. Sieh genau hin, ich muss sicher sein.“ Langsam klärte sich Rouvens Sicht etwas, und er erkannte schließlich das Wappen.
„Das ist Barlev“, flüsterte er. „Mein …“, er musste tatsächlich einen Moment nachdenken – „mein vierzehnältester Bruder. Mit ihm habe ich mich sonst immer am besten verstanden, auch, wenn er sieben Jahre älter ist als ich. Wir haben dieselbe Mutter.“
„Dann trennen sich unsere Wege. Ich werde dich, sobald es dunkel ist, den Hang hinuntertragen, den Rest musst du alleine schaffen.“
„Iyen?“ Suchend blickte Rouven zu ihm hoch, doch der Oshanta sah ihn nicht an. Zu viele Gedanken auf einmal zogen durch Rouvens umnebelten Geist. Er wollte Iyen danken, ihn anflehen hier zu bleiben, fragen, ob sie sich jemals wieder sehen würden, von seiner Angst erzählen, dass seine Familie ihn verstoßen würde. Von der Wut, die dieser Gedanke mit sich brachte. Wut auf diejenigen, die ihm alles genommen hatten. Panik, weil Iyen ihn verlassen wollte. Das wäre, als müsste Rouven fortan ohne Sonne am Himmel oder Luft zum Atmen leben!
„Kann ich dich allein lassen, ohne dass du schreist?“, fragte Iyen ausdruckslos.
„Wohin – was?“
„Immer nur Fragen, selbst wenn du nur ja oder nein sagen sollst.“ Es klang unfreundlich und Rouvens Herz sank. Da siehst du’s, er hält dich für einen Schwächling.
„Also, kann ich dich allein lassen?“
„Ja, Herr“, antwortete er und wandte den Kopf von ihm ab, zornig auf sich selbst, weil Iyen mit ihm unzufrieden sein musste.
„Ich komme gleich wieder.“ Iyen verschwand im Gras, und Rouven blieb allein mit seinem Körper, an dem nichts so funktionierte, wie es sein sollte. Allein. Mit all seinen verwirrenden Sehnsüchten, in Rufweite zu Barlev, der ihn suchte. Sein Bruder, der ihn bei ihrer letzten Begegnung öffentlich erniedrigt hatte …
Iyen kroch den Hang hinab, langsam genug, dass man seine Bewegungen, die das hohe Gras gnadenlos offenbarte, im Dämmerlicht nicht bemerken würde, falls nicht gerade jemand genau in seine Richtung blickte. Er wollte sich Barlev näher ansehen; der Streit zwischen den Brüdern über die verunglückte Jagd stand ihm noch lebhaft vor Augen. Wenn er das Gefühl hatte, dass Rouven bei diesem Mann nicht sicher wäre, würde er ihn auf gar keinen Fall hier lassen!
Es war geradezu lächerlich einfach, in das Lager einzudringen. Alle waren beschäftigt, man fühlte sich zu sicher in dieser Grasebene, in der man jeden Feind schon von Weitem nahen sah – wenn er freundlich genug war, aufrecht zu gehen. Iyen hatte noch mehr Glück: Er fand Barlev abseits der Zelte und des regen Treibens der Soldaten im Gespräch mit einem weiteren Königssohn – oder eher gesagt, in einer heftigen Diskussion, die bereits seit einiger Zeit anzudauern schien.
„… zurückkehren. So weit kann er im Leben nicht gelaufen sein!“
„Morgen Nacht, Tarrin, und keinen Moment früher“, erwiderte Barlev bestimmt. „Ich muss mir ganz sicher sein, dass er nicht zum Fluss gegangen ist. Ich werde mir beidseits die Ufer ansehen und mich überzeugen, dass es keine Spuren von ihm gibt.“
„So, wie du nur mal eben bei den Grotten und im Karkmoor nachsehen wolltest, ja? Und wenn du am Fluss nichts findest, wo wirst du dann nur mal eben kurz nachsehen? Wann siehst du ein, dass Rouven nichts als Unsinn im Kopf
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