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Nayidenmond (German Edition)

Nayidenmond (German Edition)

Titel: Nayidenmond (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Gernt
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ihm aufgetragen worden war. Das bedeutete kaum mehr, als die Berichte des Provinzvorstehers zu lesen und Anweisungen zu geben, falls es Schwierigkeiten gab, die nicht wichtig genug waren, um Tarrin zu belästigen. Sein hitzköpfiger Bruder war mittlerweile König von Lisaur, dem Landstrich, dem Osor angehörte. Ein unwichtiger Fleck auf der Landkarte, auch Lisaur selbst war von geringer Bedeutung. Rouven wollte dorthin reisen, vorgeblich, um ein Problem mit den Handelszöllen zu klären. Schon Tarrin hatte strikt dagegen gesprochen, und Arnulf hatte es ihm rundheraus verweigert:
    „Du willst doch nur raus aus Vagan, dir wäre jede Ausrede recht!“, sagte Arnulf verächtlich. „Du weißt, warum es dir untersagt ist, es dient deiner eigenen Sicherheit.“
    „Vielleicht habe ich es satt, wie ein Gefangener in diesem Gemäuer festzusitzen!“, fauchte Rouven aggressiv . Iyen verzog noch bei der Erinnerung an diesen Vorfall das Gesicht. So verständlich Rouvens Position sein mochte, mit unkontrollierten Ausbrüchen, kindischem Getue und beleidigten Schmollattacken würde er sein Ziel nie erreichen! Er hatte in seiner üblichen Verkleidung als Fariz unbemerkt lauschen und beobachten können – so nannte man jene Menschen, die mit seltsam schlitzförmigen Augen und flachen Gesichtern geboren wurden und zumeist nur über einen schwachen Verstand verfügten. Man glaubte, dass sie von Gott vergessen worden waren, als sie ihre Seele erhalten sollten und man deshalb besonders achtsam mit ihnen umgehen müsse, damit kein Dämon von ihnen Besitz ergreifen könne. In weniger zivilisierten Gegenden brachte man sie meist kurzerhand um. Fariz’ mussten ihre Gesichter stets verhüllen und den Blick gesenkt halten. Warum, wusste heute niemand mehr, womöglich hatte man früher gedacht, dass sie einem anderen Menschen die Seelen stehlen könnten, wenn sie ihm lange genug in die Augen sahen. Iyen war es gleichgültig, er nutzte diese Sitte, auch wenn er in dieser Rolle recht eingeschränkt war. So durfte ein Fariz zwar überall hingehen, wohin er wollte, wie ein Kleinkind duldete man ihn, solange er sich still verhielt. Doch um bleiben zu können, musste er kleine Arbeiten übernehmen und stets darauf achten, die unsicheren Bewegungen und langsame, leicht lallende Sprache eines Fariz beizubehalten. Man war im Palast längst an seinen Anblick gewöhnt, auch wenn er nur selten so offen auftrat, meistens dann, wenn er lange Zeit fortgewesen war und Rouven aus der Nähe beobachten wollte. Viele nannten ihn den „Blumenmann“, da er sich als Tarnung hingebungsvoll um die Pflanzen kümmerte, die in allen Räumen zu finden waren. An diesem Tag, er erinnerte sich deutlich, hatte er leise summend die staubigen Blätter einer Palme mit einem feuchten Tuch abgewischt, während er die beiden Prinzen nicht aus den Augen ließ.
     
    Der Blick, mit dem der Thronfolger Rouven bedachte, sprach Bände.
    „Vielleicht bist du einfach hier im Palast besser aufgehoben. Beweise mir, dass man dir vertrauen kann, dass du Verantwortung zu tragen bereit bist, dann werde ich mich mit Vater beraten.“ Arnulf gab sich gelassen und großherzig. Iyen wusste, dass der zukünftige König beides nicht war, sondern ein konservativer, engstirniger Mann, der außer seiner eigenen Meinung nur die seines Vaters akzeptierte.
    „Ich tue, was ich kann, um nützlich zu sein!“, schrie Rouven unbeherrscht und ballte die Fäuste, als wolle er sich auf seinen Bruder stürzen.
    „Nein. Du tust, was du kannst, um deinen leichtsinnigen Sturkopf durchzusetzen. Um Osors Belange magst du dich kümmern, im Augenblick. Und wenn es dir zu langweilig wird? Oder wenn du mit Bravsein dein Ziel nicht erreichst, was dann? Rennst du dann wieder zu Barlev und quengelst, dass dich niemand respektiert?“ Arnulf schnaubte verächtlich, während Rouven sich mit hochrotem Kopf abwandte.
    „Es ist ein Anfang, dass du dich mal für ein paar Monate zusammengerissen und eine langweilige Aufgabe erfüllt hast, gewiss. Zu mehr wirst du wohl leider nie taugen“, sagte sein Bruder, nun mit Resignation in der Stimme. Iyen konzentrierte sich auf die tonlose Melodie, die er summte, ganz den armen Seelenlosen mimend, um der Wut auf Arnulf gar nicht erst die Möglichkeit zu bieten, noch weiter hochzukochen. Egal, wie unreif Rouvens Verhalten sein mochte, er war keineswegs so nutzlos, wie alle Welt zu glauben schien. Im Gegenteil, Iyen hatte gesehen, mit wie viel Ernst, Intelligenz und Eifer er sich

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