Nayidenmond (German Edition)
hier nicht eine Falle sein sollte …
„Lasst mir hundert Herzschläge Vorsprung, danach folgt mir in die Richtung, in die ich laufe. Ihr werdet finden, was ihr sucht.“
Barlev hielt seinen Blick noch für einen Moment, dann neigte er ehrerbietig den Kopf.
„Ich danke dir. Zu wissen, dass selbst Oshanta Ehre und Gewissen besitzen, gibt mir den Glauben an das Gute in dieser Welt zurück.“
Es fühlte sich seltsam an, mit so viel Respekt behandelt zu werden, beinahe so gut wie der Triumph über einen mächtigen Gegner … Iyen nickte ihm zu, ließ sein Schwert in der Rückenscheide verschwinden, verteilte die Wurfdolche dann auf beide Hände.
„Niemand greift diesen Mann an, er darf frei gehen!“, brüllte Barlev über die Schulter. Iyen wartete nicht, ob man ihm gehorchte, oder bis die Soldaten ihre Bögen schussbereit hatten. Er rannte schnell wie ein Schatten in die hereinbrechende Dunkelheit hinaus, mit all seinen Sinnen auf die Soldaten konzentriert, die er zwar nicht mehr sehen, dafür umso besser hören konnte. Zornige Rufe folgten ihm, aber keine Pfeile. Trotzdem warf er sich auf halber Höhe des Hangs auf den Bauch und robbte im Schutz des Grases voran.
Barlev verfolgte aufmerksam, wohin der Oshanta verschwand. Es war in dem schlechten Licht kaum möglich, seinen Weg im Auge zu halten, doch Barlev konzentrierte sich und merkte sich genau den Punkt, an dem die Wellenbewegung des Grases stoppte. Die aufgeregten Soldaten in seinem Rücken, die nach Befehlen verlangten, die Pferde sattelten, sich lautstark fragten, wo der Oshanta abgeblieben war, ignorierte er vollständig, genauso wie Tarrin, der abwechselnd ihn und die Soldaten anschrie. Was er in dem Blick dieses Mannes gesehen hatte, war kaum weniger erschütternd als die Worte, die er gesprochen hatte. Was konnte man Rouven angetan haben, dass selbst ein eiskalter Mörder Mitgefühl entwickelte und sein gesamtes Dasein verriet?
Rouven fuhr aus schmerzerfülltem Halbschlaf hoch, als er plötzlich rau an den Armen gepackt wurde und sich eine Hand auf seinen Mund presste, um seinen Schreckensschrei zu ersticken. Einen Moment lang verfiel er in heillose Panik, überzeugt, Jarne und Bero hätten ihn aufgespürt. Dann erkannte er Iyens Stimme und ließ sich still in die Arme sinken, die ihn umfingen.
„Zeit, Lebewohl zu sagen“, flüsterte Iyen. Warum nur war es so dunkel, er konnte ihn nicht sehen! „Deine Brüder kommen, sie bringen dich nach Hause.“
„Iyen …“ Rouven wollte so viel sagen, sich für sein Leben bedanken, für alles, was dieser Mann für ihn getan hatte, doch er fand kein einziges Wort.
„Barlev bereut, was er zu dir gesagt hat“, wisperte Iyen in sein Ohr. Rouven lehnte sich verwirrt an seine Schulter – wann hatte er sich hingesetzt? „Er weiß von der Entführung und dass du gefoltert wurdest. Alles andere liegt bei dir.“
Zitternd schmiegte sich Rouven an ihn. Bei dem Gedanken, ihn niemals wiederzusehen, rannen ihm Tränen übers Gesicht. Hilflos begann er zu schluchzen, nur leise, zu mehr hatte er keine Kraft. Dennoch, verfluchte Schwäche, er hasste es! Wenn er doch nur richtig bei Bewusstsein wäre und wie ein Mann Abschied nehmen könnte, statt schon wieder wie ein kleiner Junge zu heulen!
„Leb wohl, Prinz von Kyarvit. Es wird bald besser werden, du musst nicht mehr lange durchhalten.“ Ein letztes Mal strichen die mittlerweile so vertrauten Hände über sein Gesicht. Iyen beugte sich zu ihm, küsste ihn sanft auf die Stirn. Rouven spürte die Ulaun-Perlen auf seiner Haut, die Wärme und Geborgenheit, die Iyen ihm durch seine Nähe schenkte. Dann wurde er zu Boden gelegt und alles das, was er so dringend brauchte, war verloren.
„Iyen …“ Es war so mühsam, auch nur diese kurzen Laute über die Lippen zu bringen.
„Deine Brüder kommen. Alles wird gut werden.“ Eine letzte leichte Berührung am Bein. Dann war Iyen fort.
Rouven presste die Lider zusammen, um nicht noch mehr zu weinen, obwohl er nichts lieber getan hätte als sich seinem Elend hinzugeben.
Ich bin allein!
Er hörte Pferdegetrappel und Rufe. Barlev kam, sein einziger richtiger Bruder, mit dem er Vater und Mutter teilte. Doch Iyen, Iyen war fort …
Allein …
„Vorsicht, ihr Narren, er kann hier überall sein!“, brüllte Barlev außer sich, als er sah, wie sorglos die Soldaten die Pferde den Hang hochtrieben.
„Und passt mit den Fackeln auf, nachher steht hier noch alles in Flammen!“, schrie Tarrin hinter
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