Nayidenmond (German Edition)
ohne bleibenden Schaden überlebt hatte und sich doch langsam mal wie ein erwachsener Mann benehmen könnte; wozu ständig rebellieren, gegen alles und jeden?
So bin ich nun mal, genau so, wie ihr mich haben wollt und anders lasst ihr mich nun mal nicht sein!
„So viel Leid, dass du weinen musst?“, spottete Amanta und strich ihm sanft über die Wange. Rouven ertrug ihre Berührung, auch wenn er sie im Augenblick lieber erwürgt hätte. „Beweine sie, deine verlorene Prinzessin, klage ruhig über das, was die Oshanta dir angetan haben. Aber solange du nicht gelernt hast, nur in den Tiefen deiner Seele Tränen zu vergießen und nach außen hin zu lächeln, wird aus dir nie ein richtiger Mann.“ Sie strich ihm einige seiner dunklen Haarsträhnen aus der Stirn, mit einer Geste, die bei jedem anderen Menschen fürsorglich gewirkt hätte.
„Lasst mich!“, zischte Rouven, wissend, dass sie genau das von ihm erwartet hatte und diese Reaktion provozieren wollte. Sie war leicht zu durchschauen und zufriedenzustellen …
„Ich wundere mich, dass du überhaupt noch hier bist. Ich hatte erwartet, du würdest die Abwesenheit deines Vaters, Arnulfs und Tarrins nutzen, um deinen Sturkopf durchzusetzen und nach Osor zu gehen. Es hätte zu unserem Prinz Leichtsinn gepasst.“
„Es ist meine Bestimmung, mich allen Erwartungen zu widersetzen, nicht wahr?“, erwiderte er und verneigte sich tief vor ihr. „Zumal, wenn ich jetzt weglaufe, weiß jeder, wo ich zu suchen bin.“
„Das mag sein. Vielleicht hat Arnulf dir genau deswegen aber die Reise verbieten wollen? Weil er wusste, dass du sie genau dann antreten und wirklich alles geben würdest, um ihn anschließend damit zu überraschen, wie viel du dort in der Provinz erreichen konntest? Vielleicht hat er die Hoffnung noch nicht aufgegeben, dass du dein kluges Köpfchen eines Tages einmal sinnvoll einzusetzen weißt, statt es nur gegen alle verfügbaren Mauern zu rammen?“ Der Blick aus ihren dunkelbraunen Augen war nicht zu deuten. Spottete sie wieder? Oder wollte sie ihn tatsächlich ermuntern, die Gelegenheit zu nutzen, um sich zu beweisen?
„Ihr wollt mir also raten, aus Vagan zu fliehen, auf die Gefahr hin, dass mein Vorhaben misslingt und mein Vater mich zur Strafe ins Verlies steckt?“
„Ich würde niemals versuchen, dir etwas zu raten, es sei denn, ich wollte, dass du dich garantiert nicht daran hältst. Aber warum so zaghaft, Rouven? Eingesperrt fühlst du dich doch auch jetzt schon, und zweifelst du so sehr an dir? Denkst du, mit den kleinen Zollproblemen in Osor schon überfordert zu sein?“ Lachend tätschelte sie ihn, drehte sich dann um und verließ die Gruft der Königsfamilie mit zierlichen Schritten.
Rouven ließ die Maske des wütenden, gedemütigten Jungen fallen und drehte sich wieder zu Airins Steinplatte um.
„Du fehlst mir“, wisperte er.
Noch einmal rief er ihr liebliches Gesicht, ihr Lachen, das Leuchten ihrer Augen in sich wach und hielt dieses Bild, bis er es nicht mehr ertragen konnte. Dann wandte er sich ab.
Während er die über dreihundert Steinstufen überwand, um wieder in die oberirdischen Ebenen des Palastes zu gelangen, dachte er über Möglichkeiten nach, die Zollabgaben niedrig zu halten, um den Warenaustausch in der Provinz Osor auszubauen, ohne vor Ort Verhandlungen mit den starrsinnigen Landesherren zu führen. Er könnte dem Provinzvorsteher zwar Anweisungen schicken, aber dann wäre ein Erfolg nicht mehr sein Verdienst, mit dem er sich für wichtigere Aufgaben empfehlen könnte. Vielleicht sollte er es doch wagen?
„Herr!“ Beinahe wäre Rouven mit Ussym zusammengestoßen, Barlevs Leibdiener. Der äußerst gut aussehende Mann war vielleicht zwei, drei Jahre älter als Rouven, Barlevs Frau hatte ihn als Sklaven in die Ehe mitgebracht. Sehr schnell hatte Barlev ihn als Leibdiener genommen, was ihm zumindest die Freiheit und das Recht auf Leben garantierte. Rouven wusste, dass Ussym nur zurückgeblieben war, um ein Auge auf ihn zu haben – was ihn innerlich schon wieder zur Rebellion trieb.
„Kann ich etwas für Euch tun, Herr?“
Rouven dachte kurz darüber nach, Ussym zu bitten, Vorräte für eine Flucht zu packen und sein Verschwinden zu tarnen. Dann schüttelte er aber nur den Kopf und lächelte dem Diener müde zu.
„Ich gehe zu Bett, es ist spät“, murmelte er.
Auf dem Weg zu seinen Räumen erhaschte Rouven einen flüchtigen Blick auf den Nachthimmel. Der Mond würde in etwa vier Tagen voll gerundet
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