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Nayidenmond (German Edition)

Nayidenmond (German Edition)

Titel: Nayidenmond (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Gernt
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jeder Aufgabe verschrieb, die man ihm anvertraute.
    „Nein, du wirst hierbleiben, das ist mein letztes Wort“, sagte Arnulf, als Rouven ihn mit verschränkten Armen und anklagendem Blick anstarrte. „Deine Trauerzeit ist längst abgelaufen“, wechselte er dann das Thema. Rouven war zwei Jahre lang verheiratet gewesen, Iyen hatte diese Frau allerdings kaum mehr als ein halbes Dutzend Mal zu Gesicht bekommen, da er in dieser Zeit viel unterwegs gewesen war. Sie war gestorben, er wusste nicht, woran oder warum.
    „Erfreulich, wie sehr du sie geliebt hast, Rouven, aber um Kyarvit zu dienen, wäre es besser, wenn du wieder heiratest. Möglichst bald. Du hast das Bündnis mit Sumra mit keinem Erben besiegelt. Bevor du keinen Sohn gezeugt hast – oder wenigstens eine Tochter, die man gewinnbringend verheiraten kann – hast du deine Pflicht nicht erfüllt.“
    „Ich weiß, Arnulf, du wird ja nicht müde, mich daran zu erinnern. ‚Ein Prinz, der sich weigert, für das Wohl des Reiches zu heiraten, gehört in den Tempel!’, äffte Rouven hitzig den Tonfall seines ältesten Bruders nach.
    „Und ich habe recht damit, nicht wahr? Du bist jämmerlich, Rouven, ein verwöhntes Kind, sonst nichts. Vielleicht bist du sogar wirklich nicht Manns genug, Nachkommen zu zeugen?“
    Bei diesen Worten hatte Rouven sich auf dem Absatz umgedreht und war aus dem Raum geflohen.
    Iyen hatte nur mühsam den Wunsch unterdrücken können, sein Staubtuch in Arnulfs Rachen zu stopfen und ihn langsam zu Tode zu foltern. Stattdessen hatte er mit seiner sinnlosen Arbeit weitergemacht, summend und mit dem Kopf nickend, Blatt um Blatt. Er durfte Rouven nicht folgen, es hätte seine Tarnung zerstört; also blieb er, bis Arnulf ihn bemerkte und dafür sorgte, dass ein Diener ihn mit freundlicher Bestimmtheit überredete, eine andere Pflanze zu pflegen.
     
    Heute Nacht würde er zum ersten Mal seit sechs Jahren – auf den Tag genau sechs Jahre seit ihrer ersten Begegnung – mit Rouven sprechen. Er hätte das gerne vermieden, doch die Umstände zwangen ihn dazu. Iyen legte sich unter das Bett, wo er geduldig wartete. Dazu versetzte er sich in eine Art meditative Entspannung, in der er seine Umgebung zwar noch deutlich wahrnahm und auf Gefahren reagieren konnte, das langsame Verstreichen der Zeit hingegen nicht spürte.
    Er würde ausharren, gleichgültig, wie lange es dauern mochte. Iyen hoffte, dass er bis dahin herausgefunden haben würde, ob das Ziehen und Kribbeln in seinem Inneren Vorfreude, Angst, Hoffnung oder Widerwillen war, sich Rouven zu zeigen, ihn von Nahem zu sehen statt aus den Augenwinkeln oder einem dunklen Versteck – und ob er mit dem, was immer es war, würde leben können.
     

Hier ruht Airin, geliebte Ehefrau des Rouven von Kyarvit, Tochter des Königs von Sumra.
    Du bist zu früh vorausgegangen, warte geduldig, bis ich dir folgen kann.
     
    Rouven strich über die Grabplatte aus blank poliertem Marmor, verfolgte mit den Fingern jeden einzelnen Buchstaben, der kunstvoll hineingearbeitet worden war. Erst dann legte er den Strauß aus weißen und gelben Rosen nieder, die Airin so sehr zu dieser Jahreszeit geliebt hatte.
    „Wenn es einen Gott gibt, möge er dich sanft in seine Arme genommen haben“, flüsterte er. Zwei wundervolle Jahre hatte er mit ihr teilen dürfen. Was als Pflichtehe traurig begann, hatte sich bald in tiefe, vertrauensvolle Freundschaft gewandelt. Drei Jahre ruhte sie nun schon hier … Heute war allerdings nicht ihr Todestag, sondern der sechste Jahrestag von Rouvens Entführung. So vieles war in den sechs Jahren geschehen, was nur durch Iyen ermöglicht worden war. Darum legte er noch eine einzelne schwarze Rose auf die Platte und dachte an den Mann, dem er mehr verdankte als nur sein Leben. Iyen war zu seinem Traumwächter geworden. Sein Seelenhüter … Sobald die Albträume zurückkehrten, konnte er Iyen eingreifen und sich zurück in die wahre Welt schicken lassen. Manche Nächte waren mühsam, weil er Dutzende Male hintereinander in das Albtraumgeschehen geriet und immer wieder erwachte. Die Gewissheit, dass Iyen wirklich jedes Mal da sein würde, um ihm zu helfen, verhinderte, dass Rouven sich vor der Nacht fürchten musste.
    Rouven hörte Schritte auf der Treppe hinter sich und fuhr herum. Wenn nun sein Vater oder Arnulf ihn hier erwischen sollten … Aber da erinnerte er sich, die beiden waren ja auf Reisen. Die drei ältesten Söhne des Großkönigs, die allesamt durch die geschickte, manchmal

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