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Nayidenmond (German Edition)

Nayidenmond (German Edition)

Titel: Nayidenmond (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Gernt
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all seine sinnlosen Verse hassen gelernt hatte, nachdem er jeden Einzelnen davon Dutzende Male lesen musste; überflüssig zu schildern, wie viel Gewalt er unzähligen Menschen androhen und antun musste, um den entscheidenden Hinweis zu erhalten ...
     
    Auf Iyens Wink hin öffnete Rouven das kostbare Schriftstück vorsichtig und überflog den Text. Ein Abschnitt war erst kürzlich schwarz umrandet worden. Er konzentrierte sich auf die altertümliche Schrift, die eng geschriebenen Buchstaben und las:
    „Im achten Monat der zweiten Dekade der Herrschaft des Königs findet sich zweimal die Gelegenheit, die Zukunft zu entschleiern.
    Finde den zweiten Sohn der achten Frau. Seine Augen werden ihn verraten, schimmernd wie Juwelen aus grünem Licht. Sie werden dem Weisen erzählen, was das Morgen noch bringt. Die Zeit dafür ist gekommen, wenn die Fischerin sich hinter dem Mundschenk verbirgt und der Mond sich in grüne Gewänder verhüllt. Acht Tage wird dies währen, zweimal, vergiss das nicht.
    Es ist die Zeit des Nayidenmonds, wenn die Welten sich berühren.
    Im Tal der Nayiden liegt die Quelle der Macht und das Tor zwischen dem Hier und dem Jenseits. Dort opfere das Kind mit den Augen aus Flammen der Sicht. Wenn sein Blut in die Quelle rinnt, den Nayiden zum Trank, wirst du dort gespiegelt sehen deine Zukunft, bis zu dem letzten Jahr, das der Himmelsherr dem Kind als Lebenszeit schenkte. Du wirst wissen, was dich erwartet und jene, die noch nach dir folgen.“
    Rouven blickte auf. Er konnte nicht denken, in seinem Kopf, der von seinem tauben Körper getrennt zu sein schien, summte es wie ein Schwarm Bienen. Mit zitternden Fingern ließ er das alte Schriftstück sinken.
    „Das kann nicht dein Ernst sein!“, flüsterte er. „Wegen der Fantastereien irgendeines Narren, im Rausch dahingestammelt, will man mich umbringen? Niemand kann solch einen Unfug glauben, die Prophezeiung ist doch so viele Jahre alt!“ Stumm flehte er Iyen an, hoffte wider besseren Wissens, dass der Oshanta zumindest kurz nachdenken würde. Iyen schüttelte nur den Kopf.
    „Es wurden schon Menschen für sehr viel weniger als das umgebracht“, erwiderte er. „Als ich damals beauftragt wurde, dich zu entführen, hat der Mond genauso ausgesehen wie heute. Ich weiß nicht, was diese grünen Schleier bedeuten, vielleicht kommen die jedes Jahrhundert wieder und sind somit etwas ganz natürliches. Aber du bist der zweite Sohn der achten Frau des Großfürsten, deine Augen besitzen eine außergewöhnliche Farbe. Wir sollten dich damals ins Nasha-Tal bringen und an der Quelle des Yada gefesselt zurücklassen, und das Sternbild der Fischerin ist hinter dem Sternbild des Mundschenks verborgen. Glaub mir, es ist wirklich die einzige mögliche Antwort auf alle Fragen, ich habe jede Einzelne gründlich geprüft. Und nun lies das hier.“ Er streckte Rouven eine Wachstafel und eine Tonscherbe hin, die offensichtlich von einer Schmuckschale stammte, denn man sah einen Teil eines handgemalten Bildes. Rouven betrachtete einen Moment lang die Darstellung einer Frau, deren Gesicht seltsam entstellt wirkte, beinahe, als wäre es aus einem Stein herausgemeißelt worden, von einem Künstler, der nicht viel von seinem Handwerk verstand. Sie hielt einen Krug, den sie in einen Bach eintauchte. Er erschauderte, ohne sagen zu können warum. Es gab nichts auf diesem Bild, das bedrohlich oder auch nur mystisch aussah, und doch, wenn er an die Prophezeiung dachte, die er gerade gelesen hatte, lief es ihm eisig den Rücken hinab. Zögernd drehte er das Wachstäfelchen so, dass er die dünnen, eng geritzten Buchstabenlinien entziffern konnte:
    „Der große Fluss Yada entspringt im Nasha-Tal, früher vielerorts unter „Tal der Nayiden“ bekannt. Dieser Name lässt sich auf eine Legende der Luradier um Flussfrauen zurückführen, denen man Orakelkräfte nachsagte. Diese Flussfrauen, Nayiden genannt, werden in der luradischen Kunst – bemalte Tonwaren, Stickereien und Ähnliches – häufig mit einem Fischleib und Menschenkopf dargestellt. Sie sollen aus den Eingeweiden von Opfertieren die Zukunft lesen. An manchen Orten glaubt man, die Nayiden würden Blut trinken und daraus erfahren, was das Morgen bringt.“
    „Ich habe erst heute die Bestätigung erhalten, dass die Zeit des Nayidenmonds wiedergekommen ist, sonst wäre ich früher erschienen. Außerdem habe ich Gerüchte gehört, dass Oshanta in der Nähe der Stadttore gesichtet wurden. Sie werden heute, allerspätestens

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