Nayidenmond (German Edition)
Das war eindeutig Königin Amanta, die Hauptfrau des Großkönigs. Und wieder zerflossen Rouvens so wandlungsfähige Gesichtszüge. Er wirkte nun größer, massiger, finster und sehr bedrohlich, obwohl er sich mit ausdrucksloser Miene entspannt hielt. Rouven musterte ihn stumm, bis Iyen plötzlich klar wurde, dass er einen Oshanta vor sich sah, nur ohne Ulaun-Perlen. Unwillkürlich trat er einen Schritt auf ihn zu, wollte ihn fasziniert an der Stirn berühren, um so vielleicht erfühlen zu können, was Rouven da anstellte, um solche Verwandlungen zu ermöglichen. Doch der junge Mann schreckte vor ihm zurück und die Illusion verging. Zurück blieb Rouven, so wie er ihn kannte.
„Das ist …“ Iyen schüttelte den Kopf. „Das ist unglaublich! Wo hast du das gelernt?“
Rouven zuckte ein wenig verlegen mit den Schultern. „Ich habe das schon immer gekonnt, glaube ich. Meine Geschwister – jene, die so ungefähr mein Alter haben zumindest – fanden es lustig, wenn ich unsere Erzieher nachahmte. Später fand ich heraus, wie nützlich es sein kann, den Menschen das vorzugaukeln, was sie zu sehen erwarten. In den letzten Jahren habe ich häufig so getan, als sei ich glücklich und zufrieden mit meinem Leben.“
„Und was hast du mir vorgespielt?“, frage Iyen, heftiger, als er beabsichtigt hatte.
„Nichts!“, beteuerte Rouven erschrocken. „Es kostet sehr viel Kraft, eine Rolle längere Zeit durchzuhalten, und mit länger meine ich alles, was über hundert Herzschläge hinausgeht. So etwas funktioniert sowieso nicht unbewusst – ich muss mich auf tausend Kleinigkeiten konzentrieren! Ein glückliches Lächeln bei der Antwort auf die Frage, ob es mir gut geht, ist nicht schwer. Stundenlang strahlen und lächeln und gut gelaunt in einer Gruppe von Leuten daherplaudern ist kaum möglich, wenn man sich zum Heulen fühlt. Dir habe ich nie etwas vorgemacht, warum auch? Im Gegenteil, je mehr Gefühle du mir vom Gesicht lesen kannst, desto sicherer kannst du sein, dass ich sie wirklich empfinde.“
„Ich glaube, du merkst selbst nicht, was du da tust“, sagte Iyen nachdenklich. „Du präsentierst dich der Welt als einen Jungen, der für seine sechsundzwanzig Jahre und dem, was er alles durchmachen musste, seltsam kindlich erscheint – naiv, oberflächlich und ziemlich dumm. Als jemand, den außer Vergnügen und Frauen nichts interessiert.“
„Ich interessiere mich nicht für Frauen und ich spiele nichts vor!“, beharrte Rouven zornig. Iyen blinzelte irritiert, beschloss allerdings, diesen Satz nicht wörtlich zu nehmen. Selbst wenn es seinen Puls zum Rasen brachte, daran zu denken, Rouven könnte vielleicht … Aber das war unmöglich.
„Du spielst nicht absichtlich, das glaube ich dir. Schon vor sechs Jahren hattest du mit deinem Verhalten jünger gewirkt, als du warst, man konnte es aber noch mit dem Ungestüm eines Zwanzigjährigen vereinbaren. Heute scheinst du eher noch jünger und emotionaler als damals … und dann wieder so reif und erwachsen, dass man dich kaum einzuschätzen weiß.“
Zögerlich nickte Rouven ihm zu, er war sehr blass und ernst geworden, hielt die Augen krampfhaft zu Boden gesenkt.
„Ich habe mich hinter dem Anschein des stets impulsiven Jungen versteckt, um überleben zu können. Einen verängstigten, von Albträumen zerfressenen Mann hätte man schleunigst in den nächstbesten Tempel abgeschoben, bei dem ewigen triebgesteuerten Kind hingegen blieb die Hoffnung, dass irgendwann noch der Verstand erwacht.“
Sein Blick wanderte in die Ferne. Es schien, als hätte er all das noch nie laut ausgesprochen.
„Meine Offenheit ist der Schutzwall, hinter dem ich meine Seele, mein Wissen, meine Gedanken verberge. Weil ich so offen scheine, glaubt jeder, mich auf den ersten Blick durchschaut zu haben und sucht gar nicht in die Tiefe, ob da noch mehr sein könnte … Ich ecke ständig mit Vater und Arnulf an deswegen. Es ist so schwer, einerseits will ich mich beweisen, ernst genommen werden, Verantwortung übernehmen. Andererseits, wann immer ich es versuche, demütigt man mich. Vater spricht kaum jemals mit mir, und wenn, um mich zu beschimpfen. Es ist schlimmer geworden seit meiner Entführung, manchmal denke ich, es wäre ihm lieber, dass ich nie heimgekehrt wäre. Barlev meint, er wird einfach nur alt, er ist wunderlich geworden und verbringt mehr Zeit mit Ebanos Gestammel als mit Politik.“
Mit einem verlorenen Lächeln blickte er hoch. „Ich nerve dich entsetzlich, nicht
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