Nayidenmond (German Edition)
hingegen Tage, bis die Kranken unter fürchterlichen Schmerzen sterben durften.
Er legte Rouven die Hand auf den Rücken und blieb einfach still bei ihm sitzen. Es mochte absurd sein, als Oshanta einem Trauernden beizustehen. Doch seit er Rouven kannte, hatte er schon viel absurdere Dinge getan.
10.
„Schwerter töten nur den Körper. Worte sind die grausamere Waffe, sie schneiden ins Herz, zerstören die Seele …“
Aus: „Die sieben Säulen des Krieges“, Urheber unbekannt
Ein weiterer langer Tag ging dem Ende zu. Iyen hatte einen guten Lagerplatz gefunden und gestattet, dass sie hier blieben, obwohl es noch ein wenig dauern würde, bis es dämmerte. Auch heute hatten sie nur wenig zu essen, doch Iyen hatte angedeutet, dass sie schon bald die Stadt erreichen würden, die er anstrebte. Dort konnten sie sich dann satt essen. Rouven ärgerte sich über sich selbst, wie schwer es ihm fiel, ohne regelmäßige Mahlzeiten auszukommen und verbarg seinen Hunger so gut er nur konnte. Iyen sollte nicht wissen, was für ein verwöhnter Prinz er wirklich war! Mittlerweile hatten sie ein Gleichgewicht im Umgang miteinander gefunden: Sie arbeiteten gut zusammen, brauchten nicht viele Worte, um sich zu verständigen. Iyen gab sich zwar wieder abweisend und kalt, aber Rouven war sich mittlerweile sicher, dass er hinter der Fassade der Unnahbarkeit etwas für ihn empfand. Möglicherweise war es nur sexuelle Anziehung, doch selbst das wäre Rouven lieber als der Gedanke, Iyen würde gar nichts oder nur Verachtung für ihn fühlen. Ob er sich ihm hingeben könnte, so wie in seinen Tagträumen, wusste er nicht. Aber ich will es so gerne …
„Würdest du mir etwas zeigen? Mit dem Schwert, meine ich?“, wagte er zu fragen. Es war immer noch hell und sie hatten genug Platz; vielleicht hatte Iyen es ernst gemeint, was er gestern Morgen gesagt hatte?
„Nun gut.“ Iyen stand zögerlich auf und reichte ihm ein Schwert an, nachdem er sich gründlich umgesehen hatte, und zog ihn noch tiefer in den Wald hinein. „Hier kann sich uns niemand nähern, ohne sich zu verraten“, sagte er gedämpft und deutete auf die vielen dürren Zweige, die den Boden bedeckten. „Du musst auf jeden Fall sehr leise sein!“ Er zog sein zweites Kurzschwert und ging in Position. „An deiner Defensive müssen wir nichts verbessern, was du brauchst, ist der Mut zur Attacke.“ Er stellte sich neben ihn und zeigte ihm eine einfache Abfolge, die Rouven noch aus seiner Grundausbildung kannte. Eine Weile lang testete Iyen aus, wo seine Schwächen lagen; er lobte ihn anerkennend dafür, dass er alle Grundtechniken blind beherrschte und erst bei den komplizierteren Schritt- und Schlagfolgen Fehler zeigte.
Er nahm ihm das Schwert ab und zeigte ihm eine Stoßattacke, bei der es auf sicheren Stand und Präzision ankam. Rouven mühte sich konzentriert, nach dem zweiten Versuch griff ihn Iyen am Arm und glitt hinter ihn, als er gerade im Ausfallschritt stand.
„Du musst höher ansetzen, und die Schultern lockerer lassen“, sagte er und korrigierte Rouvens Haltung, eine Hand an seinem rechten Arm, die andere an seiner linken Hüfte. Dabei kamen sie sich so nahe, dass Rouven beinahe die Waffe fallen gelassen hätte – Iyens starken Körper so dicht an sich geschmiegt zu spüren brachte ihn völlig aus dem Gleichgewicht. Nervös blickte er über die Schulter, hoch zu Iyen, in dessen dunkelblauen Augen etwas loderte, das wenig dazu beitrug, Rouven zu beruhigen. Einige rasende Herzschläge lang starrten sie sich an, dann räusperte sich Iyen und ließ ihn los. Rouven hätte schreien können vor Enttäuschung, aber wie sollte er ihn aufhalten? Er war nicht sicher genug, dass er nicht nur sein eigenes Verlangen sah und Iyen eigentlich gar nicht dasselbe wollte wie er … Und ob er es würde ertragen können, ihm nur für eine Nacht seinen Körper zu überlassen und dann verstoßen zu werden, darüber wollte er nicht einmal nachdenken.
Iyen räusperte sich noch einmal.
„Üb das.“ Er wandte sich steif von ihm ab, setzte sich nieder und wühlte in seinem Rucksack herum. Rouven atmete tief durch, konzentrierte sich wieder und übte verbissen die Attacken, bis Iyen ihm das Schwert aus der Hand nahm und zum Essen holte.
Die Sonne war untergegangen. Ohne Feuer fühlte sich Rouven zunehmend hilflos, so wie auch schon gestern, obwohl ihm klar war, dass es ein Signal für alle Feinde wäre und die Finsternis der Nacht sein größter Schutz. Iyen
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