Nayidenmond (German Edition)
wahr? Ich nerve jeden. Mich selbst am meisten.“
Iyen schüttelte den Kopf. Er kannte einige Menschen, die sich so verhielten, aber keiner von ihnen war ähnlich extrem wie Rouven. Allerdings war auch keiner von ihnen ähnlich schwer verletzt worden.
Und was weiß ich schon über seine Kindheit und Jugend. Inmitten von vierundzwanzig Geschwistern und zahllosen Vettern, Nichten und Neffen aufzuwachsen, von Geburt an zu Bedeutungslosigkeit verdammt, da braucht es einiges, um überhaupt wahrgenommen zu werden. Selbst dann, wenn man vielfach begabt und intelligent ist.
„Was ist mit deiner Frau – ich weiß, dass du verheiratet warst“, fragte Iyen spontan.
Kummer überschattete Rouvens Gesicht.
„Airin von Sumra war fünf Jahre älter als ich, eine Witwe, deren erster Mann am Wundfieber gestorben war. Es war selbstverständlich eine politische Verbindung, sie war eine der Töchter des Sumrischen Herrschers. Mein Bruder Ninor steht dem Sumrischen Thron allerdings sehr viel näher als ich und wird ihn erben. Airin war, ähnlich wie ich, eine der Letzten von vielen Geschwistern. Dennoch, unsere Ehe sollte die Verbindung zwischen unseren Völkern vertiefen, die sich viele Jahrhunderte lang bekriegt hatten, der Frieden ist auch jetzt noch wackelig.
In der Hochzeitsnacht … Ich konnte es nicht.“ Rouvens Stimme versank zu einem beschämten Flüstern. „Airin hatte diese Ehe genauso wenig gewollt wie ich und lachte mich aus, als ich regelrecht vor ihr floh. Als sie mir dann noch drohte, sie würde all ihren Dienerinnen erzählen, dass ich impotent sei, habe ich das Schlafgemach verlassen und einen Kammerdiener geschickt, mir sofort eine Karaffe voll schweren Cashta-Wein zu bringen. Damit ging ich zu ihr zurück und drohte, wenn sie nur ein böses Wort über mich verlauten ließe, würden meine Diener zu erzählen wissen, dass ich ihren Anblick nur volltrunken ertragen könne.“
Er lächelte bitter, seufzte dann tief.
„Sie entschuldigte sich und quälte mich beinahe eine Stunde lang mit der Frage, ob ich sie wirklich so hässlich fände, ob es an ihr läge, dass ich nicht als Mann zu ihr kommen könne, ob ich es vielleicht doch könnte, wenn sie alle Lichter löschen würde …“ Rouven legte den Kopf auf den Armen ab, die er um die angezogenen Knie geschlungen hatte. „Da habe ich ihr gesagt, was mit mir geschehen ist.“ Verloren starrte er in die Leere, fuhr zusammen, als Iyen ihn leicht an der Schulter berührte.
„Hat sie es weiter erzählt?“, fragte Iyen behutsam, aber Rouven schüttelte traurig lächelnd den Kopf.
„Nein. Sie hat die Karaffe genommen, uns beide und den Boden damit getränkt, ist dann auf das Bett gestiegen und eine Weile lang ekstatisch stöhnend und schreiend darauf herumgesprungen. Zum Schluss hat sie die Karaffe an der Wand zerschmettert und zufrieden darüber gelacht. „Nun werden alle wissen, dass wir heute Nacht eine wilde Orgie gefeiert haben!“, erklärte sie ungerührt und fragte mich, ob ich es ertragen könne, wenn sie neben mir schliefe, auch dann, wenn sie nackt sei, um den Dienern etwas zu bieten, was sich zu erzählen lohnt.“
„Eine bessere Frau hättest du dir nicht wünschen können“, sagte Iyen vorsichtig – er ahnte, wo das hier enden würde.
„Sie war mir eine Freundin“, flüsterte Rouven und versteckte sein Gesicht, um die Trauer nicht zu zeigen, die Tränen in seine Augen trieb; doch zu langsam für Iyens scharfen Blick.
„Sie stand mir bei, wenn es mir schlecht ging, wenn die Albträume sich in den heißen Sommermonaten wiederkamen, wenn mein Vater oder einer meiner Brüder mir zusetzten, weil ich deren Erwartungen nicht erfüllen konnte. Sie hörte mir immer zu, vertraute mir im Gegenzug auch ihre Geheimnisse und Ängste an …“
Iyen wartete schweigend, als Rouvens Stimme so stark schwankte, dass er verstummen musste.
„Die Rechtsseitenkrankheit“, presste Rouven mühsam hervor.
Iyen nickte vor sich hin. Die Seitenkrankheit konnte jeden überfallen, Männer, Frauen und Kinder, oft genug aus heiterem Himmel. Von einem Moment auf den anderen litten die Kranken plötzlich an starken Bauchschmerzen. Meist geschah nichts weiter, die Schmerzen verschwanden nach einigen Tagen, kehrten vielleicht gelegentlich zurück oder zeigten sich niemals wieder. Oft genug aber wurden die Schmerzen schlimmer. Wenn der Bauch steinhart wurde, Fieber zu wüten begann, war alle Hoffnung beendet. Meistens dauerte es von da an nur wenige Stunden, manchmal
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