Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nayidenmond (German Edition)

Nayidenmond (German Edition)

Titel: Nayidenmond (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Gernt
Vom Netzwerk:
ein Oshanta ein sterblicher Mann mit natürlichen Bedürfnissen war.
    „Beeil dich“, sagte Iyen gelassen und zog sich wieder an. „Es gibt hier nichts, vor dem du dich fürchten müsstest.“
    Rouven zuckte leicht zusammen und kam zum Ufer zurück, über und über errötend. Schämte er sich dafür, ihn angestarrt zu haben? Nun, Scham war eine kleine Schwester der Angst, ähnlich lähmend, aber rascher vorbei. Rasch blickte Iyen sich um, vergewisserte sich, dass sie weiterhin sicher waren. Auch wenn er sich nicht beobachtet fühlte, ihm war bewusst, dass die Verfolger ihnen dicht auf den Fersen sein mussten.
     
    Einige Momente, nachdem die beiden außer Sicht verschwunden waren, krochen zwei Schatten aus dem Unterholz hervor.
    „Iyen ist nervös. Wir dürfen nicht dichter ran, sonst werden wir bald die Gejagten sein“, zischte eine der Gestalten, die beide trotz der sommerlichen Hitze Tücher so um die Gesichter gewickelt hatten, dass nur die Augen noch sichtbar waren. Nur so konnten sie sicher sein, dass die Ulaun-Perlen nicht das Sonnenlicht reflektierten und ihre Beute vorwarnten.
    Sie warteten noch ein wenig länger. Dann holten sie die Pferde und folgten dem Weg, den Iyen und Rouven genommen hatten.
     
     

Rouven starrte zu Boden, blieb hinter ihm, hielt das Tempo allerdings mit, das Iyen vorgab.
    Sie liefen den ganzen Tag, ohne Rast. Ein kurzes Gewitter brachte Abkühlung, weichte aber glücklicherweise den Boden nicht auf, sodass sie weiterhin gut vorwärtskamen. So oft es ging, versuchte Iyen einen Weg zu finden, wo sie so wenig Spuren wie nur möglich zurückließen. Er wollte nach Layun, einer Stadt in der Nähe der Küste. Sie war groß und besaß ein Elendsviertel, in dem sich Flüchtlinge erfolgreicher verbergen konnten als in der Wildnis. Hier könnten sie die Zeit des Nayidenmondes aussitzen und dann nach Vagan zurückkehren. Aber dafür mussten sie den Oshanta entkommen.
    Als es zu dunkel wurde, um in dem felsigen, von Nadelbäumen beherrschten Gelände noch sicher laufen zu können, gab Iyen das Zeichen anzuhalten.
    Gemeinsam richteten sie den Lagerplatz her, nach kurzem Zögern entschloss er sich, kein Feuer zuzulassen. Sie befanden sich im Schutz einiger Findlinge, die ein natürliches Dach bildeten und sie vor Wind, Regen und feindlichen Blicken bewahren konnten. Raubtiere gab es zwar vermutlich, doch ein Angriff war unwahrscheinlich, gerade zu dieser Jahreszeit, wo es mehr als genug leichte Beute gab.
    Zu essen gab es diesmal nur einige Früchte, die sie unterwegs gesammelt hatten und etwas Dörrfleisch aus Iyens Vorräten.
    „Soll ich die erste Wache übernehmen?“, fragte Rouven. Es war noch nicht so dunkel, dass man die tiefen Ringe unter seinen Augen übersehen konnte. „Ich bin noch recht munter, und wir sollten uns wirklich abwechseln, damit du auch schlafen kannst.“
    Iyen musterte ihn und schüttelte den Kopf.
    „Du siehst aus, als würdest du gleich im Sitzen umfallen. Leg dich hin. Du hältst uns nur auf, wenn du morgen früh zu müde bist, um dich zu rühren.“
    „Mir geht es gut“, beharrte Rouven trotzig. „Ich kann leicht drei bis vier Stunden wachen. Den längeren Teil der Nacht übernimmst du dann.“
    „Dir geht es nicht gut.“
    „Ich lüge nicht!“, fuhr der junge Mann auf.
    „Kannst du überhaupt lügen? Man liest dir jeden Gedanken so deutlich vom Gesicht, wie soll …“ Iyen stockte, als sich Rouven erhob und für einen Moment die Augen schloss. Als er ihn wieder anblickte, ging eine Veränderung an ihm vor, so geschwind, dass Iyen sie kaum bemerkte, das Ergebnis hingegen war umso deutlicher: Die Gesichtszüge wirkten härter, die Haltung, die Bewegungen, selbst die Ausstrahlung – all dies gehörte nicht mehr zu Rouven, sondern zu einem weitaus älteren Mann, streng und würdevoll.
    „Ich brauche nicht zu lügen, Oshanta“, sagte er. Seine Stimme klang tiefer, die Modulation der Worte härter. Ungläubig stand Iyen da und starrte ihn nur mit offenem Mund an. Das war nicht einfach nur ein begabter Schauspieler, der sich wie König Rilon bewegen und seine Art zu sprechen nachahmen konnte. Dort vor ihm stand der Großkönig, lediglich jünger, mit dunkelbraunem statt grauem Haar und helleren Augen.
    Rouven lächelte, die Illusion verschwand. Er senkte den Kopf. Als er aufsah, hatte er sich in eine junge Frau mit stolzem Blick und hartem Zug um die Mundwinkel verwandelt.
    „Ich will, dass er seiner Königin den Respekt erweist, den er ihr schuldet!“

Weitere Kostenlose Bücher