Nayla die Loewin
sind weise, alte Männer. Dir fehlen die grauen Haare und der Bart.“
Talon lachte leise auf. „Die kommen noch. Wenn ich lang genug lebe“, setzte er nach. „Im Augenblick sorgen wir erst mal dafür, dass du wieder auf die Beine kommst. Was ist mit dir passiert, Junge?“
Der Schwarze wich dem prüfenden Blick der hellblauen Augen aus. Er sah an sich herab. Seine Augen wanderten wie auf der Suche nach einer Antwort durch den Raum.
„Das kann ich nicht sagen“, löste es sich schließlich von seinen Lippen.
„Kommst du hier aus dem Dorf?“, setzte Talon nach.
Sehmu schüttelte unweigerlich den Kopf. „Nein, ich stamme aus einem Dorf an der Grenze zu Kenia. Es liegt knapp einen Tag südlich von hier. Ich musste in den Norden, wegen … Erledigungen.“
„Ich weiß, dass du mich anlügst“, erwiderte Talon mit scharfer Stimme. „Ich weiß nur nicht, warum. Und ich möchte sicherstellen, dass mich deine Lügen nicht mein Leben kosten. Ist dir das klar?“
„Bwana Talon, hören Sie – ich bin Ihnen dankbar für Ihre Hilfe. Aber ich führe nichts Böses im Schilde. Ich werde jetzt aufbrechen und gehe meinen Weg. Und Sie können Ihren gehen. Gut?“
Während die Worte hastig aus dem jungen Schwarzen heraussprudelten, versuchte er sich mit seinen Armen auf dem unebenen Boden aufzustützen und hoch zu drücken. Doch die Versuche erstickten bereits im Ansatz. Schweißüberströmt sackte er zu Boden und atmete schwer.
„Natürlich, so wie du drauf bist, schlägst du dich zwei Tage durch die Wildnis …“ Talon wischte dem Jungen den Schweiß von der Stirn. „Hör zu, ich weiche seit Tagen allen möglichen Waffenhändlern und Milizen aus, um jeglichem Ärger aus dem Weg zu gehen –“
„Keine Miliz, keine Miliz!“, beeilte sich Sehmu zu betonen. „Damit haben wir nichts zu tun. Das ist nicht unser Krieg. Ich bin doch keine Gefahr für Sie.“ Er setzte ab und schüttelte müde den Kopf. „Lassen Sie mich einfach hier. Bringen Sie mir etwas Wasser. Ich werde mich schon erholen und dann nach Hause gehen.“
„Sehmu, was ist mit diesem Dorf passiert?“, ließ Talon den jungen Mann nicht zur Ruhe kommen. „Wohin sind alle verschwunden?“
Etwas an Widerstand brach in den Schwarzen zusammen. Fast sichtbar sackte sein Körper ein.
„Ich weiß es nicht“, erklärte er tonlos. „Ich weiß nicht, was passiert. Manche fliehen. Manche verschwinden. Manche bleiben, so wie unser Stamm. Irgendwas passiert. Alles verändert sich …“
Er hob den Kopf. Mit einem hilflosen blick sah er Talon an.
„So vieles geschieht, was keiner mehr versteht.“
„Verschwinden auch bei euch Sachen? Dieses Licht, das alles mit sich zu tragen scheint? Vergesst ihr Dinge, die selbstverständlich waren?“
Der Farbige zuckte zusammen, als sei er auf frischer Tat ertappt worden.
„Lassen Sie mich gehen!“, fuhr er Talon mit hektischer Stimme an. „Ich will davon nichts mehr wissen. Das hier geschieht alles gar nicht! Manche der Alten sagen, wir sind in einem Fieber, aus dem wir erwachen müssen. Dann werden Sie verschwunden sein! Ich bin zu Hause, und alles ist gut … -“
Ein lang gezogenes, tiefes Grollen durchschnitt die trügerische Ruhe vor der Hütte. Sehmus Kopf fuhr herum.
„Nayla“, entfuhr er seinen trockenen Lippen, während seine Augen Furcht erfüllt aufblitzten.
Talon war aufgesprungen, noch bevor das Grollen verklungen war. Hoch aufgerichtet stand er im Türrahmen und suchte die Umgebung ab. Noch mehrere Augenblicke, nachdem es wieder still geworden war, lauschte er misstrauisch. Seine Augen suchten das verschlungene Dickicht ab.
„Wer ist Nayla?“, stellte er die Frage, ohne den Blick von dem Meer aus ineinander verschlungenen Grüntönen zu nehmen, das die Bäume in ihrer ständigen Bewegung erzeugten.
Erst als keine Antwort kam, drehte er den Kopf zur Seite und bedachte den Schwarzen mit einem kalten Ausdruck in seinen Augen. „Sehmu, wer ist Nayla?“
„Meine Schwester“, kam die Antwort nur zögernd.
„Du meinst, deine Schwester befindet sich da draußen im Dschungel?“, wollte der hochgewachsene Mann Gewissheit haben. Der Farbige nickte nur stumm. Er wollte den Kopf wegdrehen, als Talon neben ihm wieder in die Hocke ging, doch ein fester Griff um sein Kinn zwang ihn dazu, den Weißen anzusehen.
„Was ist passiert, Junge? Wieso ist deine Schwester alleine da draußen?“
Es dauerte lange, bis sich der junge Mann entschließen konnte, zu antworten. Seine Worte kamen zögernd,
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