Nazigold
und
Glied angelegt. Und jedes muss penibel in Ordnung gehalten werden. Darauf
achten die Mittenwalder sehr. Wenn da auch nur ein paar Büschel Unkraut aus der
Erde sprießen, gibt es bissiges Gerede. Gezwungenermaßen gibt jeder
Hinterbliebene ein Vorbild für mustergültige Grabpflege ab. So sehen alle
Gräber gleich aus, öde und seelenlos, aber korrekt.
Wohin man auch sieht: Mit der Schnur exakt ausgerichtete Reihen von
Grabsteinen, Grabplatten, massive Holzkreuze, vereinzelt auch Kruzifixe mit
einem Giebeldächlein.
Auch auf dem Grab ihrer Eltern steht ein solches Kruzifix mit einem
aus Holz geschnitzten Christus. Unter den ans Kreuz genagelten Füßen der
Christusfigur ist eine kleine Tafel angebracht: »Alois Gropper 1885 – 1928 –
Walburga Gropper 1889 – 1931«, steht da.
Gropper hasst diese Kreuzigungsbilder. Schon in der Schule hat er
sie gehasst, diese Marterpfähle, die in jedem Klassenzimmer hinter dem
Lehrerpult an der Wand hängen. Immer wenn er hinsah, musste er an die
wahnsinnigen Schmerzen eines Menschen denken, wenn man ihm zolldicke
Zimmermannsnägel durch die Hände und Füße hämmert. Es schüttelte ihn schon bei
dem Gedanken daran. Warum hielten die Lehrer und Pfarrer Kindern diese Folter
vor Augen? Fanden sie Vergnügen an der Qual anderer? Warum hatte die Kirche
ausgerechnet das Kreuz als Symbol des Glaubens gewählt? Sie hätte sich doch
auch zum Beispiel für ein Bild mit dem Wunder der Brotvermehrung entscheiden
können. Das wäre ihm viel sympathischer gewesen.
»Wie konnte er nur so blöd sein und noch die idiotische Säge
wegziehen, bevor der Baum daraufkracht? Die Säge vom Schmauß hat er gerettet,
aber sein Leben verloren«, sagt Theres, während sie die verwelkten Osterglocken
aus dem Einweckglas nimmt, das auf dem Grab ihrer Eltern steht. »Wundert mich,
dass sie das Glas noch nicht geklaut haben. Die klauen heutzutage alles, was
nicht niet- und nagelfest ist.«
Sie schüttet das faulige Wasser aus, geht zum nahen Wassertrog,
füllt das Glas wieder und stellt den großen violetten Fliederzweig hinein, den
sie auf dem Weg hierher am Straßenrand von einem Busch abgebrochen hat.
»Sogar den Kupferhahn am Wassertrog haben sie mal abgeschraubt. Da
floss dann das Wasser die ganze Nacht. Zuerst verschwand meine kleine
Eisenlaterne, die ich für die Kerze hingestellt hab, damit sie der Wind nicht
ausbläst. Also hab ich die Kerze so hingestellt, aber gleich darauf hat man
auch die geklaut. Die verkaufen sie auf dem Schwarzmarkt. Kerzen kann ja heute
jeder brauchen. Jetzt stell ich gar keine Kerzen mehr hin.« Theres sieht über
die Gräber. »Da drüben haben sie von einem Grabkreuz den Christus
abgeschraubt.« Sie zeigt auf eine Grabstelle zwei Reihen vor ihnen. »Eine
wertvolle Oberammergauer Schnitzarbeit. Auf dem Schwarzmarkt bringt die ’ne
Menge. Und daneben haben sie den Bronze-Christus gestohlen. Für Altmetall
bekommt man ja viel Geld. Sie haben einfach das Holzkreuz oben und unten
durchgesägt. An einem anderen Grab haben sie die Namensschilder vom Grabstein
gebrochen. Die waren aus Kupfer. Auch das lässt sich gut verkaufen. Ein Glück,
dass unser Holz-Christus und die Tafel mit den Namen nicht so wertvoll sind.«
Gropper muss wieder daran denken, wie seine Mutter ihm nach dem
Begräbnis des Vaters verboten hat, Förster zu werden und je die Insel Sassau zu
betreten. »Sonst wirst auch du von einem Baum erschlagen. Dann holt auch dich
die Nixe«, prophezeite sie. Sogar noch an ihrem Sterbebett musste er ihr
schwören, ihren Letzten Willen zu erfüllen. Geschichten von gestern, sagt er
sich. Bayerische Sagen, na und?
Theres bemerkt, dass er so versonnen vor dem Grab steht, und stößt
ihn mit dem Ellbogen an. »Weißt du noch, wie bei der Beerdigung unserer Mutter
plötzlich auch Wilma am Grab auftauchte?«
Daran kann er sich tatsächlich noch gut erinnern. Als der Sarg nach
unten in die Grube gelassen wurde und er, Theres, Luise und die
Wohnungsnachbarn von der Judengasse jeder ein Schäufelchen Erde oder einen
Blumenstrauß auf den Sarg warfen, war plötzlich Wilma da. Sie warf gelbe Rosen
zu seiner Mutter hinab und wollte sich neben ihn stellen. Da sah sie, wie Luise
zum Trost den Arm um ihn legte. Wilma wirkte sehr verstört. Zum ersten Mal sah
sie diese Frau an seiner Seite. Später, als die Beerdigung zu Ende war und er
etwas abseits stand, fragte Wilma ihn: »Wer ist die Frau? Du hast mir gar
nichts von deiner neuen Frau erzählt.« Dabei hatte
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