Nazigold
haben?«
»Da gibt es viele.«
»Hast du eine Idee, wer es gewesen sein könnte?«
»Du ermittelst, nicht ich«, kontert sie hart.
»Aber du kennst die Leute hier.«
Da platzt sie heraus: »Meinst du, ich will so enden wie der Nafziger?«
Und nach einer kurzen Pause fügt sie ängstlich hinzu: »Es haben sicher welche
gesehen, dass du zu mir gekommen bist.«
»Du weißt es also und hast Angst, dass sie sich an dir rächen.«
»Auch du riskierst hier dein Leben«, sagt sie barsch. »Die sind viel
mächtiger als du. Du wirst verlieren. Hör auf zu ermitteln! Gib’s auf und fahr
wieder nach Hause zu deiner Luise.«
Gropper springt auf. »Wer war’s? Wer war’s? Spuck’s aus!«, schreit
er sie an, doch sie schreit zurück: »Den Teufel werd ich tun!«
Nur als Kinder haben sie sich so angeschrien, wenn sie aufeinander
zornig waren und sich sogar prügelten, bis ihre Eltern dazwischengingen und sie
auseinanderrissen. Jetzt als Erwachsene bemühen sie sich, ihre Rage abzukühlen
und wieder normal miteinander zu reden, möglichst geschwisterlich. Beide
brauchen einige Zeit dazu. Nach ein paar schnaufenden Atemzügen schlägt Theres
einen versöhnlichen Ton an.
»Reden wir von etwas anderem«, sagt sie betont ruhig und steht auf.
»Gehen wir wieder nach oben.«
»Wo du über Harmloses reden kannst, was abgehört werden darf.«
»Gscheithaferl, du«, gibt sie zurück.
Oben in der Küche holt sie hinter einem Tellerstapel im Schrank ein
Büchlein hervor und reicht es ihm. Es ist ein altes, abgegriffenes Exemplar in
einem hellbraunen Pappeeinband. »Sagen aus Bayern« ist der Titel. Er erinnert
sich, die Mutter hat ihnen oft daraus vorgelesen, als sie Kinder waren.
»Ich hab es an mich genommen, als ich nach ihrem Tod ihre Sachen
ausräumte«, sagt Theres. »Ich hatte ganz vergessen, dass es das noch gab.
Schlag mal auf, die Seite mit dem Knick oben.«
Er schlägt die genannte Seite auf und liest: »Die Nixe vom
Walchensee«.
»Ich dachte, das könnte dich interessieren.«
Gropper lächelt. Er muss daran denken, wie es ihn und Theres jedes
Mal gruselte, wenn ihre Mutter diese Sage vorlas. Trotzdem wollten sie sie
immer wieder hören.
Es war einmal ein König, der musste aus
seinem Reich fliehen, weil ihm ein anderer König seine Krone und seinen Schatz
rauben wollte. So raffte der König all sein Gold in eisernen Kisten zusammen
und floh damit in das Gebirge bis zum Walchensee. Hier versteckte er sein Gold
auf den Höhen rund um den See. Einen Teil aber wollte er auf einer Insel des
Sees verstecken, die dicht bewachsen war mit Fichten, Tannen, Buchen und
giftigen Eiben. Diese Insel hieß Sassau.
Als nun der König die Insel betrat, fand er dort
eine gänzlich weiße Nixe vor, halb im Wasser, halb auf dem Ufer zwischen dem
Schilf liegend. Sie war die Herrin der Insel. Sie sprach zum König: »Ich werde
deinen Schatz bewahren und jeden, der meine Insel betritt, zu mir in die Tiefe
meines Sees hinabziehen, auf dass er nie wieder auftauche.«
Der König war damit einverstanden und überließ
ihr seinen Schatz. Kaum aber hatte er die Insel verlassen, da kamen die bösen Zwerge
heran, die tief in den unterirdischen Gängen und Höhlen des Kesselberges und
des Herzogstandes hausten und lüstern danach waren, das gleißende Gold zu
rauben. Die weiße Nixe wollte sie tief hinunter auf den Grund ziehen, doch die
flinken Zwerge entwichen ihr und retteten sich auf das gegenüberliegende
Seeufer, das darum ›Zwergern‹ geheißen wird. Doch wenn man sich heute mit dem
Boot der Insel nähert, hört man über dem Wasser noch immer die Nixe in einem
hellen silbernen Ton folgende Weise singen:
Begehrst du das Gold, tauch ich auf aus dem See,
hol dich hinab in die murmelnden Wogen.
In meinen Armen, so weiß wie der Schnee, ist dein
Goldtraum des Lebens verflogen.
Begehrst du das Gold, so komm mit dem Kahn. Ich
still auf dem Grund dein Verlangen.
Dann bist du mein, vorbei ist dein Wahn. Ich werd
dich auf immer umfangen.
Auch jetzt gruselt es ihn wieder. Irritiert legt er das Büchlein
beiseite.
»So ein Schmarrn«, sagt Theres. »Die Nixe gibt’s gar nicht. Ein
bisschen gesponnen hat sie immer schon, unsere Mutter. Übrigens, gleich nach
Kriegsende hat der Bürgermeister die Insel abgesperrt und zum Naturschutzgebiet
erklärt. Seitdem ist das Betreten streng verboten.«
***
Auf dem St.-Nikolaus-Friedhof an der Schöttlkarstraße liegen
ihre Eltern begraben. Die Gräber auf dem Friedhof sind akkurat in Reih
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