Nazigold
verabredet. Davor will er im Bahnhof Luise anrufen. Heute hat sie
frei. Das kommt nicht oft vor bei ihrem Schichtdienst.
Luise meldet sich gut gelaunt.
»Schönen Sonntag«, wünscht er ihr.
»Dir auch. Kommst du voran?«, fragt sie, obwohl sie weiß, dass er am
Telefon darüber nicht reden darf.
Gropper druckst herum und erzählt ihr lieber von seinem Besuch bei
Theres und von seiner Pension. Doch als er da stockt, will sie wissen, ob er
wirklich gut untergebracht und ob dort alles in Ordnung ist.
»Fünf-Sterne-Suite, doch ohne Sterne und Suite. Wenn ich mir den
Hals verrenke, kann ich durch die Dachluke wenigstens die Sterne am Himmel
sehen«, sagt er. Da weiß sie schon Bescheid und berichtet ihm von ihrer Arbeit
im Lungensanatorium, von ihren dahinsiechenden Patienten aus dem KZ Dachau und davon, dass man in der Würm einen
Blindgänger gefunden und entschärft hat. Sie berichtet sehr ausführlich und
breitet in einem nachgespielten Dialog genau vor ihm aus, wer was wörtlich
gesagt hat und was sie darauf antwortete. Gropper vergisst solche Einzelheiten.
Luise aber nie. Noch nach Wochen und Monaten erinnert sie sich an jedes Detail
ihrer Unterhaltungen. Schon oft hat er von ihr zu hören bekommen: »Aber ich
habe dir doch schon voriges Jahr gesagt, dass …«
Diese enorme Erinnerungsfähigkeit hat Gropper staunend auch bei
anderen Frauen festgestellt. Mit ihrem exakten Gedächtnis wäre Luise sicher
eine gute Kommissarin geworden, die nichts vergisst und alle Aussagen von
anderen ständig im Kopf hat. Gropper muss sich bei seinen Ermittlungen jedes
Mal in seinem Büchlein Notizen machen.
Um Punkt zwei steht er kaum auf dem Bahnhofplatz, da eilt auch
schon der Mann auf ihn zu, dieses Mal in einem anthrazitfarbenen Lodenmantel
und einem schwarzen Trachtenhut. Vornehm, vornehm, denkt Gropper. Aus einer
seiner Innentaschen zieht der Trachtenmann verstohlen eine Papiertüte hervor
und holt daraus sorgfältig geplättete NS -Mitgliedskarten,
Zuzugsbescheinigungen, verfallene Benzingutscheine, eine Kfz-Zulassung und
einen Ausweis mit Lichtbild hervor. Gropper wendet die Zulassung und den
Ausweis hin und her und überlegt, ob er beides kaufen soll. Aber warum? Was
soll er damit anfangen?
»Woher haben Sie das?«, fragt er unschlüssig.
Der Händler grinst. »Machen Sie schnell, sonst fallen wir auf«,
drängt er und sieht sich ängstlich um. »Ja oder nein?«
Ohne zu wissen, warum, sagt Gropper: »Ja. Wie viel?«
»Hundert.«
Gropper erschrickt. »Hundert Mark?«
»Nicht so laut.«
Verstohlen drückt Gropper dem Gauner die Scheine in die Hand. Er ist
davon überzeugt, dass ihn der Schurke mächtig übers Ohr gehauen hat. So viel
Geld für nichts, denkt Gropper reumütig und steckt die Dokumente ein.
»Wenn Sie noch anderes wünschen – Nazi, SS ,
alles vorhanden.« Und schon ist der vornehme Trachtenträger wieder
verschwunden.
Gropper geht die wenigen Meter zum Güterbahnhof und sieht sich
hinter einem Schuppen seinen Kauf genauer an.
Auf der Zulassung ist ein BMW 327,
Baujahr 1937, mit Berliner Kennzeichen eingetragen. Zweitürig. Seitenwände rot,
vordere Kotflügel, Kühlerhaube, Dach schwarz. Mit zwei schmalen silbernen
Grills an der Kühlerfront. Zugelassen 1938 in Berlin. Der Ausweis ist
ausgestellt auf den Namen Heinrich Krüger, geboren am 3.3.1908 in Berlin. Das
Lichtbild, ein übliches Passfoto, zeigt ein ehrliches, anständiges Gesicht. Der
Haarschnitt ist kurz und korrekt, wie man es von Preußen gewohnt ist. Dem Foto
nach könnte dieser Heinrich Krüger ein Bankangestellter gewesen sein oder ein höherer
Beamter. Wie kommen seine Papiere nach Mittenwald? Vielleicht hat er hier
Urlaub gemacht, wie viele Berliner, und ist vom Einmarsch der Amerikaner
überrascht worden. Lebt er noch? Jedenfalls ist oder war er kein armer Krauter,
sonst hätte er sich nicht so einen BMW leisten
können.
Gropper ärgert sich, dass er die beiden Papierwische gekauft hat.
Was soll er nun damit?
Hundert Mark rausgeschmissen für nichts.
Da fällt ihm ein, dass ein BMW wie
dieser, zumindest ein sehr ähnlicher, nun seiner Schwester gehört.
Er überquert wie schon gestern die Wiesen hinter dem Bahnhof. Im
Sägewerk wird heute jedoch nicht gearbeitet. Keine Gefahr also, von alten
Bekannten angesprochen zu werden.
Schon aus einiger Entfernung sieht er den BMW vor dem Haus stehen. Damit Theres nicht sehen kann, dass er ihren Wagen
kontrolliert, nähert er sich dem Häuschen von der Seite. Er holt die
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