Nazigold
der rote BMW von Theres, der so aussieht wie der von Krüger, und jetzt die durchwühlten
Schubladen, während er schlief. Dazu eine verschlossene Schublade geöffnet und
geleert.
Was steckt dahinter?
6
Fragn ko ma ois, aber kriagn tuat ma
nix.
»Unverschämtheit! Jeden Tag Beschwerde«, empört sich
Wondratschek, als sich Gropper am nächsten Morgen über den geheimnisvollen
nächtlichen Besuch beklagt. Voller Entrüstung wippt er dabei mit den Füßen auf
und nieder und fuchtelt mit den Armen in der Luft herum. »Keiner bei Ihnen im
Zimmer nachts! Kein Mensch!« Dabei überschlägt sich seine Stimme wie bei einem
aufgeregt kollernden Truthahn. »Eine Frechheit, mir unterstellen, ich in Ihren
Schublad kramen!«
»Aber niemand hat einen Schlüssel für das Zimmer und die Kommode.
Nur Sie«, wirft ihm Gropper vor.
Das schäumt Wondratschek noch mehr auf, er brüllt und tobt: »So
einen Flegel nie erlebt! Ich, ich … in seinem Zimmer, nachts!« Wondratschek
schnappt nach Luft wie ein Fisch auf dem Trockenen. Kein »Bittschön« mehr, aus
ist es mit seiner devoten Freundlichkeit. In seiner Rage schwillt er knallrot
an, als würde er jeden Augenblick platzen.
Soll es ihn doch in Stücke reißen, wünscht Gropper, dreht sich um
und geht.
Wondratschek sackt zusammen, sinkt auf die Knie, hält beide Hände
vors Gesicht und weint und jammert: »Imma drufftrata, imma tippla, koa
Dohejm.«
***
Vor dem Rathaus, vor dem Gebäudeflügel des Bürgermeisteramtes,
steht ein protziger himmelblauer Buick Super. Genau so einen hat doch auch
Nafziger gehabt, das stand im Bericht des Erkennungsdienstes. Als Gropper
vorgestern das »Crazy Horse« aufsuchte, hat er Nafzigers Buick nirgends
gesehen. Nun aber steht ein solcher Wagen vor dem Bürgermeisteramt.
Aus seiner Aktentasche holt er die Beschreibung und die Fotos vom
Erkennungsdienst und vergleicht sie mit der Karosse, die vor ihm steht. Es ist
tatsächlich Nafzigers Wagen. Sogar das Kennzeichen ist dasselbe. Wahrscheinlich
fährt nun Lucretia seinen Buick und hat jetzt etwas im Rathaus zu erledigen.
Etwa in Angelegenheiten seines Todes oder seiner Beerdigung. Oder vielleicht
gehört der Wagen nun Sattler, und er parkt ihn hier vor seinem Amt?
In der Halle ist schon am Montagvormittag viel Gerenne und Geschrei.
Jeder hat irgendeinen Zettel in der Hand, ein Formular, persönliche Dokumente
oder amtliche Schreiben. Gropper geht nach links zum Einwohnermeldeamt. Es ist
geöffnet. Das Herz schlägt ihm bis zum Hals. Er fragt nach Wilma Gschwandtner.
Die ältere Frau, die aussieht, als wäre sie von der Heilsarmee, blättert in
riesigen Karteikästen: keine Eintragung unter diesem Namen. Vielleicht hat sie
in den vergangenen Jahren geheiratet und heißt nun ganz anders. Auch ihre
Eltern sind nicht registriert. Nicht einmal ein Wegzug ist eingetragen.
Gropper hat das Gefühl, hinter einem Phantom herzujagen. Gib’s auf,
sagt er sich. Lass gut sein. Vorbei ist vorbei. Sie ist nur eine Jugendliebe,
das war einmal. Und trotzdem will er wissen, was aus ihr geworden ist. Wie es
ihr geht. Aber wenn er sie tatsächlich ausfindig macht, was dann? Soll er sie
dann besuchen und feststellen, dass sie verheiratet ist und vielleicht zwei
Kinder hat? Soll er mit ansehen, wie glücklich sie mit ihrem Mann und ihren
Kindern ist? Vielleicht schickt sie ihn weg: Geh, ich will dich nicht mehr
sehen. Ich liebe dich nicht mehr. Das ist vorbei. Lass mich in Ruhe. So wird
sie ihn wegschicken. Wie einen kleinen Jungen, der nach seinem verlorenen
bunten Ball sucht. Und trotzdem will er sie wiedersehen.
Gropper geht nach rechts zum Bürgermeisteramt, zu Max Sattler. Ihn
kennt er noch aus der Zeit vor 1939, als Sattler Ortsgruppenleiter war. Damals
unterstand dem Mann alles. Und Sattler war ein scharfer Hund. Er prüfte die
Mitglieder aller Vereine auf Parteilinie. Ob Trachtengruppe, Heimatmusikkreis,
Jodlerzirkel, Geigenbaugilde, alle kämmte er durch. Er kontrollierte, wer bei
Versammlungen fehlte, zählte genau, wer wie viel an Parteispenden einzahlte. Da
hatte er viel zu tun. Besonders 1936, während der Olympiade. Durch seine
Spitzel ließ er die fremden Besucher auf regierungskritische Äußerungen hin
observieren, auch die Ausländer. Genau hat er überwachen lassen, wer im Ort was
über seine Nazis sagte, und die Denunzianten belohnt. Da wurden so manche
plötzlich nach Dachau abgeholt und blieben für immer verschwunden. An den
Ortseingängen ließ er Schilder aufstellen: »Juden sind hier
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