Neandermord
behielt einen der beiden Eingänge im Auge.
Um mich herum herrschte familiärer Trubel. Hinter mir ging es in die Kinderhöhle mit Ronalds Karussell - einer Bar in Kleinformat, wo der Nachwuchs auf gelbroten Höckerchen an einem runden Tisch seine Hamburger mampfen konnte. Ab und zu drang kindliches Geschrei aus dem Raum. Durch die Scheibe neben meinem Tisch hatte ich eine prächtige Aussicht auf den heißen Staub der Baustelle auf dem ehemaligen Hertiegelände. Das Areal wirkte wie ein Vulkan unter Dampf kurz vor dem Ausbruch.
Ich aß langsam und wartete. Jutta kam nach einer knappen halben Stunde.
»Hol dir was«, sagte ich, bevor sie sich zu mir setzte. »Sonst fällst du hier noch auf.«
Sie verzog das Gesicht. »Ich hab aber keinen Hunger. Und schon gar nicht auf Fast-Food.«
»Kauf was. Ich esse es. Hol noch eine Cola und irgendwas Mexikanisches. Die haben jetzt Los Wochos.«
Jutta sah mich an, als käme ich aus der Irrenanstalt. »Was haben die?«
Ich verdrehte die Augen. »Du guckst entschieden zu wenig Fernsehen. Kein Wunder, dass du nicht weißt, was in der Welt passiert. Los Wochos - das Spezialangebot.«
»Ist ja schon gut.«
Jutta stellte sich an der Theke an, wo ganze Familien auf ihr Mittagessen warteten. Kinderwagen blockierten den Durchgang. Sommer. Urlaubszeit. Mittag. Offensichtlich die Formel für Hochbetrieb.
Nach einer Weile kam Jutta zurück und stellte ein Tablett auf den Tisch. »Also, ich hab mich mal gebildet«, sagte sie. »Das hier heißt Los Scharfos und das hier Los Kartofos.«
»Na bitte, geht doch. Du lernst schnell.«
»Sehr intelligent, dieses Vokabular.
»Mit der Intelligenz deiner Kurzlyrik kann ja eh keiner mithalten.«
Jutta machte ein Gesicht, als hätte sie Prosecco erwartet und Essig geschluckt. Ich aß gemütlich weiter. Nur nicht auffallen.
»Bist du sicher, dass dir niemand gefolgt ist?«, wollte ich wissen.
»Wie soll man da sicher sein?« Sie machte eine Bewegung, als würde sie etwas Unangenehmes abschütteln, dann sah sie mich ernst an. »Remi. Die sind jetzt wirklich im großen Stil hinter dir her. Die machen kurzen Prozess. Wie die mich da unten abgefangen haben …«
»Erzähl.«
»Soll ich nicht doch Herrn Dr. Heimlich … Ich meine, Beistand von einem Anwalt wäre sicher nicht das Schlechteste, und …«
»Erzähl«, wiederholte ich.
»Also gut.« Sie senkte die Stimme. »Sie standen unten vor der Haustür, als ich gerade wieder wegwollte. Zwei Typen. Und als ich genau hinsah, war der eine Typ die Dorau. Dabei hatte ich sie ja schon gesehen, als wir gestern nach Hause kamen.«
»Sie hatten natürlich einen Beobachter in Zivil unten stehen. Dem bist du in die Falle gegangen. Als du in der Wohnung warst, hat er die Dorau angerufen.«
»So wird es gewesen sein.«
»Und dann?«
»Papiere kontrolliert. Mir den Durchsuchungsbeschluss gezeigt. Mit mir raufgefahren. Und ich musste sie halt reinlassen.«
»Und sie haben nicht gemerkt, dass ich vorher bei dir gewesen bin?«
»Sie haben zumindest nichts Beweisfähiges gefunden. Die Dorau dachte sich bestimmt was dabei, dass das Gästezimmer benutzt war, aber damit hatte sie immer noch keinen Beweis. Du kannst dir vorstellen, wie sauer sie war. Sie hat fest damit gerechnet, dass du dich in meinem Haus versteckt hast. Sie hat zwei Polizisten angebrüllt, die da wohl Schmiere standen. Wie bist du an denen denn vorbeigekommen? Oder hattest du nur Glück?«
Ich trank einen Schluck Cola. Das mexikanische Zeug war ziemlich scharf. Wie der Name schon sagte.
»Kein Glück. Berufsgeheimnis. Die Bullen sind wirklich gut organisiert. Sie werden bestimmt auch andere Leute checken, die ich kenne. Manni zum Beispiel. Falls die Polizei ihn kennt…«
Jutta senkte den Blick auf das Chaos aus Pappverpackungen und verschmiertem Papier, das gerade auf meinem Tablett entstand.
»Auf mich sind sie jedenfalls durch was anderes gekommen.«
»Und was?«
Sie wischte sich die Finger ab, öffnete ihre Handtasche und holte ein Blatt Papier heraus. Es war die Kopie eines Schwarz-Weiß-Fotos, eingebaut in ein amtliches Formular. Diese Art von Aufnahmen kannte ich. Es war eines von den hübschen Porträts, die entstanden, wenn einen ein Starenkasten erwischte. Jutta war großartig zu erkennen. Sie starrte mit ernster Miene vor sich auf die Straße, die Hände um das Lenkrad des R4 gekrallt. Die runden Scheinwerfer des kleinen Franzosen leuchteten dienstbeflissen auf die Landstraße, und das vordere
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