Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Neandermord

Neandermord

Titel: Neandermord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Buslau
Vom Netzwerk:
Tür. Von oben tropften die Klaviertöne herunter. Zart und leise.
    Gregor. Den hatte sie damals schon erwähnt. Und ich hatte zu dem Zeitpunkt nicht gewusst, was das zu bedeuten hatte. Erst später hatte mir jemand die Geschichte erzählt.
    Gregor, dessen Nachnamen niemand kannte, war Russe. Professor an irgendeiner Musikakademie. Er war angeblich Rosas Lehrer gewesen. Und sie seine Meisterschülerin. Als er in den Westen kam, versuchte er, Arbeit zu finden, und das gelang ihm wie Rosa heute mit privaten Klavierstunden. Nach und nach bekam die Polizei heraus, dass das nicht seine einzige Einnahmequelle war.
    Gregor betrieb nebenbei einen lukrativen Handel. Die Polizei ermittelte und wollte ihm mit hieb- und stichfesten Beweisen auf die Pelle rücken. Als sie vor seiner Tür standen, um ihn festzunehmen, konnte er die Beamten gerade noch in die Wohnung lassen. Zwei Minuten später sackte er zusammen. Herzinfarkt.
    Er starb, und die Beamten fanden in der Wohnung nichts, was ihn in irgendeiner Form hätte belasten können.
    Sein ganzes Lager befand sich längst bei Rosa.
    Sie stellte sich breitbeinig hin, was in ihrem weißen Kleid etwas seltsam aussah, und riss den Deckel einer Holzkiste nach oben. Rosas Bizeps war kräftig, fast männlich.
    In der Kiste wurde eine grobe graue Wolldecke sichtbar. Rosa zog sie beiseite, und ich blickte auf matten Stahl.
    »Hast du einen besonderen Wunsch?« Sie richtete sich auf wie ein Gewichtheber, der seine Stange abgelegt hat. »Was hattest du vorher?«
    Die Waffe, mit der Krüger erschossen worden war, hatte ich natürlich nicht hier gekauft.
    »Am liebsten wäre mir eine Beretta.«
    »Habe ich leider nicht.«
    Über uns kreiste die Klaviermelodie. Sie war geradezu aufgeladen von der Verbissenheit, mit der der Junge namens Sascha übte.
    Es war immer dieselbe Tonfolge, nur drei, vier Noten. Ich stellte mir vor, wie die kleinen Finger auf den Tasten in Endlosschleife eine bestimmte Bewegung machten. Wie lange würde das so gehen? Bis Blut kam?
    Ein Glück, dass meine Eltern mich nicht gezwungen hatten, ein Musikinstrument zu lernen. Dabei hatte es durchaus Musik gegeben bei uns zu Hause. Am Wochenende wurde immer das geguckt, was man heute »Musikantenstadl« oder »Lustige Musikanten« nannte. Damals hieß es »Zum blauen Bock«. Außerdem spielte mein Vater, schwergewichtiger Polizist im Innendienst, im Polizeiorchester Tuba. Wenn er übte, klirrten im Küchenschrank die Gläser.
    »Was ist nun?«, fragte Rosa.
    Ich ließ meinen Blick über die Waffen gleiten und griff nach einer Pl. Eine Bundeswehrpistole. Neun Schuss gingen in das Magazin. Ich wog das Schießeisen in der Hand.
    »Die wäre in Ordnung.« Ich zog das Magazin heraus. Leer.
    »Ich bräuchte natürlich noch Munition.«
    Sie nickte und klappte die Kiste wieder zu. »Tausend Euro«, sagte sie dann.
    Das hätte ich mir denken können. Rosa liebte glatte Summen. Ich tat unbeeindruckt. Allerdings hatte ich keine Lust auf langes Handeln. Ich hatte nicht ewig Zeit. Und das Klavierspiel da oben ging mir auf die Nerven.
    »Zweihundertfünfzig«, sagte ich und schob das Magazin wieder rein. Rosa drehte sich um und griff in ein Regal. Sie öffnete eine runde Blechdose und zählte mir neun Patronen in die Hand. Sie glänzten im funzeligen Licht.
    »Tausend«, sagte sie noch einmal und blickte mich an wie ein Gespenst. Ihre schwarzen Augen waren finstere Löcher.
    »Rosa, ich kann dir keine tausend zahlen. Bei Weitem nicht.« Ich legte die Pistole und die Patronen auf die Kiste und achtete sorgfältig darauf, dass die Munition nicht herunterrollte. Dann drehte ich mich um und ging langsam in Richtung Treppe. Ich erreichte die Stufen und erklomm sie. Eine nach der anderen.
    Wenn ich durch die Tür bin, ist es aus, dachte ich. Dann muss ich jemand anderen finden, der mir eine Wumme verkauft. Oder ich muss unbewaffnet zu Nevada-King gehen, was kaum ratsam ist. Und selbst wenn ich am Düsseldorfer Bahnhof oder in Köln vorher noch jemanden finde, der ein Schießeisen für mich hat, ist damit immer noch nicht gesagt, dass ich was Vernünftiges bekomme.
    Bei Rosa wusste man wenigstens, woran man war.
    Ich stand auf dem oberen Flur, jetzt wieder ganz von der aufgestauten Hitze des Tages umgeben, und wollte gerade die Tür öffnen. Von unten folgte Geraschel. Im Wohnzimmer klimperte es immer noch.
    »Achthundert«, sagte Rosa von hinten.
    Sie war halb die Treppe heraufgekommen, und ich konnte nur ihr Gesicht und einen weißen

Weitere Kostenlose Bücher