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Neandermord

Neandermord

Titel: Neandermord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Buslau
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habe ich dann vorher noch eine interessante Geschichte gehört. Erzählen Sie. Sie haben am Telefon gesagt, die Korruptionssache hätte was mit Ihrer Familie zu tun.«
    Ich hatte schon viele Journalisten getroffen, einschließlich Jutta, die sich hin und wieder in diesem Beruf versuchte. Aber hier hatte ich jemanden vor mir, den man mit Fug und Recht als »alten Hasen« bezeichnen konnte. Der die Flöhe husten hörte. Bei dem es sinnlos war, Spielchen zu spielen.
    Trotzdem musste ich vorsichtig sein. Ich checkte so unauffällig wie möglich meine Fluchtmöglichkeiten. Vom Balkon aus blickte man auf eine Rasenfläche, die an einen Zaun grenzte. Dahinter lagen wahrscheinlich weitere Gärten. Es gab eine Regenrinne, an der ich eventuell hinunterklettern konnte, oder ich musste versuchen, in die Äste eines nahen Baumes zu springen. Wenn Zech ein Telefonat führen sollte, würde ich auf diese Weise fliehen.
    »Keine Sorge«, sagte Zech. »Ich kann Ihnen ansehen, dass Sie gerade über eine Fluchtmöglichkeit nachdenken. Aber das brauchen Sie nicht. Solange Sie die Knarre stecken lassen.«
    Am liebsten hätte ich mich ihm anvertraut. So wie sich ihm sicher schon Tausende Informanten anvertraut hatten, aus deren Geschichten er dann seine Storys machte. Aber ich durfte mich von diesem Gefühl nicht verführen lassen.
    Du wirst von der Polizei gesucht, hämmerte ich mir ein. Du darfst niemandem vertrauen. Höchstens Jutta.
    Ich tastete mich vor. »Es geht mir nur um Informationen.«
    »Aus Artikeln, die über zehn Jahre alt sind?« Er lehnte sich zurück und runzelte die Stirn, wobei sich seine hellen Bernhardineraugenbrauen verschoben. »Ich weiß selbst nicht mehr so ganz genau, worum es da ging. Helfen Sie mir auf die Sprünge?«
    Ich fasste zusammen, was ich gelesen hatte.
    »Seltsam, dass diese alten Schoten überhaupt noch zu finden sind«, sagte er. »Unter Journalisten gibt es ein Sprichwort. Nichts ist so alt wie die Zeitung von gestern. Aber die elektronischen Speicher packt man voll mit diesem alten Mist.«
    »Ich habe nicht den Eindruck, dass Ihre Artikel veraltet sind«, sagte ich. »Immerhin scheinen die Ereignisse, die Sie darin beschrieben haben, bis in die Gegenwart nachzuwirken.«
    »Das müssen Sie mir erklären.«
    Ob er ahnte, wen er vor sich hatte? Den gesuchten Verdächtigen in dem Mordfall von gestern Abend? Zech war zwar in Rente. Die Spürnase hatte er aber garantiert nicht verloren, und er verfolgte mit Sicherheit sehr genau, was in den Medien berichtet wurde.
    »Ich möchte wissen, wer die Polizisten waren, die damals unter Korruptionsverdacht standen.«
    »Da fragen Sie mich zu viel.« Zech kratzte sich das weiße Haupt und zog die Augenbrauen hoch. »Ich erkläre Ihnen mal was. Zwischen dieser Zeit und heute liegt für mich ein Lebensabschnitt, der sehr einschneidend war. Die alten Geschichten für die Lokalzeitung - das war ein anderes Leben. Das war ein anderer Roland Zech, der das geschrieben hat. Im Jahr 2000 hatte ich die Chance, in die USA zu gehen, und ich hatte mich dort gerade mit allerlei Storys über die letzten Auswirkungen der Clinton-Affäre mit Monika Lewinsky und der Wahl des Präsidenten Bush junior etabliert, als der 11. September kam. Ich war in New York, als es passierte. Aber nicht in meinem Büro in Manhattan, sondern in Queens. Sie werden lachen, ich schrieb gerade eine Story über amerikanische Fernsehserien, und da gibt es doch diese eine schwachsinnige Reihe, die jetzt noch im Fernsehen kommt…«
    »King of Queens«, sagte ich, und gleichzeitig dachte ich: Noch ein King. Alle sind Könige.
    »Genau. Darum ging es. Ich bin also davongekommen. Als sich der Staub gelegt hatte, war klar, dass ein neues Zeitalter angebrochen war. Dass es neue Kriege geben würde. Während der ersten Meldungen, die ich schrieb, ging mir sogar der Gedanke durch den Kopf, der Dritte Weltkrieg sei ausgebrochen. Ich wusste, dass man das so nicht schreiben konnte. Es wäre unjournalistisch gewesen.
    Unprofessionell. Aber was ist schon Professionalität? Zitate Zusammentragen und gegeneinanderstellen? Ich verstand auf einmal, dass das nicht reichte. Dass auch einen Journalisten, einen reinen Berichterstatter seine Themen berühren können, ja es sogar müssen. Ich definierte meine Arbeit als Journalist neu …«
    Ich hatte keine Lust, mir Zechs Ausführungen über sein journalistisches Leben noch lange anzuhören.
    »Das heißt, Sie können sich nicht mehr an Namen von damals erinnern?«
    »Nein.

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