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Neandermord

Neandermord

Titel: Neandermord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Buslau
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Rüschenärmel sehen.
    »Dreihundert«, sagte ich und griff an die Türklinke.
    Das Klavier kreiste mindestens neunmal seine kleine Runde.
    Ich bewegte die Klinke nach unten, da hörte ich hinter mir ein neues Gebot: »Fünfhundert. Das ist mein letztes Wort.«

14. Kapitel
    Der kleine Rote trug mich durch den dichten Verkehr auf der A3 in Richtung Norden. Am Kreuz Ratingen Ost kam ich in einen Stau. Man konnte die Tageszeit, zu der ich bei Zech ankam, immer noch als späten Nachmittag bezeichnen. Insofern war ich sogar pünktlich.
    Nachdem ich geklingelt hatte, meldete sich eine Stimme aus der Gegensprechanlage.
    »Wer sind Sie? Was wollen Sie?«
    »Rott«, sagte ich.
    »Nie gehört.«
    »Herr Zech, wir haben telefoniert.«
    »Wann?«
    »Heute Nachmittag. Erinnern Sie sich nicht?«
    Die Sprechanlage schwieg einen Moment, und ich dachte schon, ich wäre umsonst gekommen, da summte der Türöffner. Ich drückte die Tür auf, und ein angenehm kühles Treppenhaus empfing mich. Offenbar war oben irgendwo ein Fenster geöffnet, sodass ich mitten im Durchzug stand. Ich öffnete das leichte Sommerjackett ein wenig, das mir Rosa mitgegeben hatte, damit ich das Holster der Pistole verbergen konnte. Das Kleidungsstück stammte noch von ihrem Gregor, passte mir aber ganz gut. Allerdings war es hellblau-weiß kariert und hatte wahrscheinlich in den tiefsten Achtzigern erstmals auf dem Bügel eines Bekleidungsgeschäfts gehangen. Immer noch besser, als mit einer gut sichtbaren Pistolentasche herumzulaufen, die ich Rosa auch noch aus den Rippen geleiert hatte.
    In den oberen Stockwerken des Mietshauses schwanden die linden Lüfte dahin. Hier oben sammelte sich die Hitze, und der Schweiß brach mir aus, als ich die letzte Drehung vollzog.        
    Hinter dem Treppengeländer erwartete mich ein Berg von einem Mann. Ein Gesicht wie ein Bernhardiner. Schneeweißes Haar. Trotz der Hitze trug er einen dünnen, ebenso weißen Rollkragenpulli, unter dem sich die Umrisse eines Unterhemds abzeichneten.
    Schwarze Hose. Plötzlich bewegte sich etwas auf seinem Arm. Ein kleiner Hund, ebenfalls schneeweiß und daher gut getarnt. 
    »Herr Zech?«
    »Ganz recht.« Sonore Stimme. Er hielt mir die freie Hand hin. Der Druck war fleischig und fest. »Kommen Sie rein. Ich hatte Ihren Namen völlig vergessen.«
    Kaum waren wir in der Wohnung, ließ er den Hund laufen. Kleine Krallen klickten auf blankem Steinboden. Zech führte mich durch das Wohnzimmer auf einen Balkon, auf dem ein Tisch und Gartenstühle standen.
    »Möchten Sie etwas trinken?«
    »Gerne. Vielleicht ein Wasser?«
    Er verschwand einen Moment. In der Zwischenzeit kam der kleine Hund nach draußen und beschnupperte mich. Mir fiel ein, dass Rosa, Zech und der Hund ein gutes Trio abgegeben hätten. Alle in Weiß.
    Zech brachte eine Wasserflasche und Gläser. »Mir macht die Hitze nicht so viel aus. Ich war lange in Gegenden, wo es so heiß war wie in der Hölle. Naher Osten. Algerien. Für mich ist das hier Frühling.« Er lächelte mir kurz zu und trank einen Schluck.
    »Klingt interessant«, sagte ich.
    »Das war es. Mein Leben ist jetzt jedoch vorbei. Können Sie sich vorstellen, wie das ist, wenn man nicht mehr arbeiten soll? Oder nicht mehr arbeiten kann? Wenn aber die Arbeit alles für einen war?«
    Meine Güte, jetzt erzählt er mir sein Leben, dachte ich.
    »Ich bin siebenundsechzig Jahre alt«, sagte er. »Gesundheitlich geht’s mir nicht besonders. Wer weiß, wie lange ich noch lebe. Es kann jeden Tag zu Ende sein.«
    Ich nickte, sagte aber nichts. Bloß nicht in ein Gespräch über den Sinn des Lebens verwickeln lassen, dachte ich und bereitete mich darauf vor, den richtigen Punkt zu finden, um auf mein Thema zu sprechen zu kommen. Aber Zech kam mir auf überraschende Weise zuvor.
    »Und deswegen habe ich Sie überhaupt in meine Wohnung gelassen«, fuhr er fort. »Obwohl Sie eine Waffe tragen.« Er sah mich auffordernd an. »Würden Sie mir freundlicherweise verraten, warum Sie das tun?«
    Unwillkürlich zog ich das Jackett enger zusammen. Zech konnte die Riemen des Holsters nicht gesehen haben. Ich hatte bei Rosa vor dem Spiegel alles getestet.
    »Geben Sie sich keine Mühe«, sagte Zech. »Ich kann das riechen. Das Waffenöl. Das Pulver in der Munition. Wer so lange in Kriegsgebieten war wie ich, hat einen Sinn für so was. Aber Sie sehen nicht gerade aus wie ein Mörder. Und ich habe viele gesehen, glauben Sie mir. Und wenn ich mich irre - Pech gehabt. Wenigstens

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