Neandermord
wusste, dass diese Entwicklungsstufe nach deinem Geschmack ist.«
*
Kurz darauf hatten wir einen der Tische ergattert, tranken Kaffee und aßen belegte Brötchen. Der Geräuschpegel war fast so hoch wie in dem von mir favorisierten Schnellrestaurant.
Jutta setzte ihre Tasse ab. »Ich denke, jetzt ist die Atmosphäre entspannt genug, dass wir uns überlegen können, wie es weitergeht.«
»Ich habe keine Ahnung«, sagte ich, nachdem ich einen gewaltigen Bissen hinuntergeschluckt hatte. »Wir haben nichts. Nur Ideen.«
»Immerhin wissen wir, dass es eine Verbindung zwischen Krügers Notiz und dem Grundstück gibt, auf dem seine Exfrau ein Hotel baut.«
»Wir haben den Verdacht, dass es irgendwas Illegales bei der Baugenehmigung gab. Aber wie sollen wir das beweisen?«
Jutta sah ihre Tasse an und machte ein nachdenkliches Gesicht. »Man müsste andersrum an die Sache rangehen«, sagte sie schließlich.
»Wie meinst du das?«
»Wir sollten den Verdächtigen nichts beweisen, sondern sie ausschließen. Wer übrig bleibt, war’s. Die alte Sherlock-Holmes-Methode.«
Ich lachte gequält. »Welche von den vielen Verdächtigen meinst du denn? Nur damit wir den Überblick behalten.«
»Na ja, wir haben immerhin eine. Alexandra Schroffbach. Wenn Krüger ihr im Weg stand bei ihrem wichtigen Bauprojekt, kann sie ja auch die Täterin sein, oder nicht?«
»Oder irgendjemand, der in ihrem Auftrag gehandelt hat. Und wie wollen wir auf den kommen?«
»Mich würde mal interessieren, wer der Typ in dem schwarzen BMW war.«
»Vielleicht jemand von der Baufirma.«
»Glaube ich nicht. Die Firma hieß Kotten. Und so hieß auch der Bauleiter, der mit dem Typ im schwarzen Auto ankam. Da gibt’s sicher keinen über ihm.«
»Vielleicht ist es ein Familienunternehmen, und der andere ist sein Bruder. Oder die Baufirma gehört dem Vater, und beide arbeiten da. Da gibt’s viele Möglichkeiten. Es kann ja auch jemand von dem Wellness-Laden gewesen sein.«
Jutta seufzte. Sie nahm meine Hand, die neben dem leeren Teller lag. »Soll ich dir mal was sagen? Es sieht richtig beschissen aus.«
Ich konnte nur nicken.
»Wenn das der Neandertaler geahnt hätte«, sagte ich. »Welche Dramen sich eines Tages ereignen würden - genau an der Stelle, wo er friedlich in seiner Höhle lebte.«
»Na ja, so genau stimmt das ja nicht«, sagte Jutta und schlug wieder ihren Grundschullehrerinnenton an, den sie manchmal an sich hatte, seit sie mit der Arbeit als freie Journalistin angefangen hatte. Damals hatte ich sie mal besucht, und der gesamte Wohnzimmertisch war mit Büchern und Broschüren über das Bergische Land bedeckt gewesen. Jutta war auf der Suche nach Themen gewesen: von der Wiehler Tropfsteinhöhle bis zum Herz des heiligen Engelbert im Altenberger Dom, von der Wupperquelle bis - so nahm ich jetzt jedenfalls an - zum Neanderthal Museum. Nichts, was es im Bergischen Land gab, war vor ihr sicher. Plötzlich wusste sie über alles und jedes Bescheid. Und sie nutzte jede Gelegenheit, mich an ihrem Wissen teilhaben zu lassen. Ob ich es wollte oder nicht.
»… eigentlich ein Stück weiter«, sagte Jutta, als ich wieder aus meinen Gedanken erwachte. »Und deswegen gibt es sie nicht mehr.«
»Entschuldigung, was hast du gesagt?«
»Ich habe dir gerade erklärt, wo die wirkliche Fundstelle des Neandertalers ist.«
»Nicht hier?«
Ein strenger Blick. »Dass du nie zuhören kannst. Also noch mal. Das ist so. …«
Jutta erklärte, was all die Leute hier um uns herum wahrscheinlich ganz genau wussten. 1856 hatten Arbeiter Knochen gefunden, die aussahen, als stammten sie von Menschen. Der Naturforscher Carl Fuhlrott untersuchte sie und stellte fest, dass die Funde wahrscheinlich uralt waren. Irgendwann kam die Wissenschaft dahinter, dass die Überreste von einem Frühmenschen stammten, den man dann nach dem Fundort Neandertaler nannte - damals noch mit »th«, wie man in irgendeiner Frühform der Rechtschreibung das Wort »Thal« schrieb.
Ich erinnerte mich. Ich hatte das alles irgendwann mal in der Schule gelernt, aber wie vieles andere vergessen. Heute interessierte mich das mehr als damals, aber ich hatte gerade andere Probleme.
Ich hätte gerne eine Zigarette geraucht, aber das war hier verboten.
»Was haben die Arbeiter denn damals im Neandertal gebaut?«, fragte ich. »Vielleicht ein Wellness-Hotel?«
Irgendetwas in mir gierte nach Nikotin. Ich musste hier raus.
»Das hab ich dir doch gerade erklärt. Man hat im Neandertal über
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