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Nebel über dem Fluss

Nebel über dem Fluss

Titel: Nebel über dem Fluss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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Andere besichtigten den Zufahrtsweg, um Abgüsse von Reifenspuren und Stiefelabdrücken zu machen. Nancy Phelans Leichnam lag, aus seinem flachen Grab befreit, unter einer Plastikplane im Unfallwagen. In einem braunen schmutzbespritzten BMW saß der Pathologe und schrieb seinen vorläufigen Befund nieder. Harry Phelan, von einem ernsten Graham Millington durch den morgendlichen Verkehr chauffiert, war über den Weg aufs nächste Feld gegangen, sobald er die Tote identifiziert hatte. Jetzt stand er regungslos im kalten Morgen, die Hände in den Taschen, den Kopf gesenkt, während im Wagen seine Frau Clarise weinte und so gernhinausgegangen wäre und ihn in die Arme genommen hätte, sich aber nicht traute.
    Es war noch nicht einmal Mittag.
    Resnick, in Wintermantel und Schal, das Gesicht bleich in der Wintersonne, sprach mit Sharon Garnett. Fast einen Meter fünfundsiebzig groß und durchaus massig in der dicken Daunenjacke, die sie trug, wirkte Sharon nicht gerade verschwindend klein neben ihm. Sie hatte von dem Fall aus dem Fernsehen und durch die Fahndungsfotos von Nancy Phelan gehört – dass Frauen verschwanden, kam ja, Gott sei Dank, nicht so oft vor, dass es bei ihr nicht sofort gefunkt hätte. Noch ehe ihre Schweineschlachter abtransportiert waren, hatte sie ihren Verdacht gemeldet und Minuten später mit Resnick gesprochen.
    »Was glauben Sie«, fragte sie, »wie lange hat sie schon da in der Grube gelegen?«
    »Das ist schwer zu sagen. Aber ich vermute, nicht allzu lange. Sonst hätten die Schweine sie früher gefunden, selbst bei diesen Temperaturen.«
    »Hilft das was?«, fragte Sharon. »Dass sie hier gefunden wurde?«
    »Sie meinen, um dem Mörder auf die Spur zu kommen?«
    Sharon nickte.
    »Es könnte ein Hinweis sein. Kommt darauf an.«
    »Aber es muss doch was dahinterstecken, glauben Sie nicht?«
    »Ja?«
    »Ich meine, warum gerade hier? Auf den ersten Blick ergibt das doch wenig Sinn.«
    Resnicks Blick schweifte über das weite flache Land. »Es ist abgelegen, so viel kann man auf jeden Fall sagen.«
    Ein feines Lächeln. »Alles hier ist abgelegen.«
    »Eine Tote zu verscharren, geht nicht so schnell«, sagte Resnick. »Auch wenn man nicht tief gräbt. Hier würde manjeden, der einen überraschen könnte, schon von weitem sehen.«
    »Aber er muss die Stelle hier gekannt haben, oder?« Sharon ließ nicht locker. »Er muss zum Beispiel gewusst haben, dass hier auch tagsüber fast nie ein Mensch ist. Ich meine, man würde doch nicht einfach mit einer Leiche im Auto herumkutschieren, sich ein bisschen umschauen und denken, oh, da drüben, das sieht gut aus.«
    »Doch, möglich ist es.«
    »Ja, aber glauben Sie, dass es so war?«
    Resnick schüttelte den Kopf. »Nein. Ich glaube, wer das getan hat, kennt die Gegend hier gut, er kennt den Hof und den Weg. Ich vermute, dass er den Plan schon im Kopf hatte, vielleicht sogar schon bevor er die Frau entführte. Den Plan, die Leiche hier zu vergraben.«
    Sharon dachte an die wühlenden Schweine, ihren ersten Blick auf die Hand. »Aber dann muss er auch gewusst haben, dass die Leiche früher oder später gefunden wird.«
    »Ja«, stimmte Resnick zu. »Das wollte er vermutlich.«
    »Und warum?«
    »Da bin ich mir noch nicht sicher.«
    Der Pathologe, Hose in grüne Gummistiefel gestopft, kam auf sie zu. »Ich muss natürlich noch die entsprechenden Untersuchungen machen, aber ich würde sagen, sie ist seit drei oder vier Tagen tot. Ich vermute, sie wurde zunächst getötet, der Leichnam dann irgendwo aufbewahrt und schließlich hierhergebracht. Erstaunlicherweise kaum Anzeichen von Verfall.«
    »Und die Todesursache?«, fragte Resnick.
    »Sie haben doch die blauen Stellen rund um den Hals gesehen. Sie wurde beinahe mit Sicherheit erdrosselt.«
    »Wie?«, wollte Sharon wissen.
    Der Pathologe spähte über den Rand seiner Brille, als sähe er sie zum ersten Mal. Ihre Frage beantwortete er nicht.
    »Wie wurde sie erdrosselt?«, fragte Resnick.
    Diesmal ließ die Antwort keinen Moment auf sich warten. »Nicht mit den Händen. Mit einer Schlinge. Vielleicht mit einem Strick, obwohl wir da wahrscheinlich stärkere Hautabschürfungen hätten. Mit einem schmalen Gürtel möglicherweise?«
    »Wann können wir frühestens einen umfassenden Bericht haben?«, fragte Resnick.
    »In vierundzwanzig Stunden.«
    »Und vorher?«
    »Ich schicke Ihnen etwas, sobald ich kann. Am frühen Nachmittag?«
    Sharon konnte ihren Zorn während dieses Gesprächs nur mit Mühe bezähmen.

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