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Nebel über dem Fluss

Nebel über dem Fluss

Titel: Nebel über dem Fluss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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seufzend.
     
    »Ich glaube, ich gehe jetzt besser.«
    Sie waren auf dem Boden zwischen Sessel und Sofa gelandet. Lynns Pullover war bis zum Hals hochgerutscht, der Gürtel ihrer Jeans gelockert. Michael, der halb über ihr lag, zeichnete mit den Fingerspitzen kleine Kreise auf ihre Haut, ohne sie anzusehen.
    »Glaubst du wirklich?«, fragte Lynn.
    »Ja.« Noch immer sah er sie nicht an, seltsam für jemanden, der sonst kaum den Blick von ihr wenden zu können schien. »Ich muss morgen früh raus, viel zu tun.«
    Lynn rutschte zur Seite und setzte sich auf. »Ich auch«, sagte sie, während sie ihren Pullover herunterzog.
    »Euren Mann schnappen, hm?«
    »Vielleicht.« Sie stand auf und zog ihren Gürtel fest. »Man kann ja hoffen.«
    »Ja«, sagte Michael. »Das kann man.«
    Lynn wollte ihn küssen, aber er wandte das Gesicht ab. Sie nahm die Weingläser, eins vom Tisch und eins vom Boden.
    »Warte«, sagte Michael. »Lass mich das machen. Ich brauche sowieso einen Schluck Wasser. Das ist das Blöde am Rotwein, man hat hinterher immer einen Riesendurst.«
    Während er in der Küche war, ging Lynn ins Bad und musterte sich im Spiegel, fuhr sich mit dem Kamm durchs Haar. Sie war stark erhitzt.
    »Also dann, bis wir uns wiedersehen«, sagte Michael, schon an der Tür.
    Lynn machte ihm auf. »Ruf mich das nächste Mal an. Überraschungen sind nicht so mein Ding. Ruf mich vorher an.«
    Er gab ihr einen kräftigen Kuss auf die Wange und trat nach draußen. »Geh lieber wieder rein, bevor die Wohnung kalt wird.«
    Sie hörte ihn die Treppe hinuntergehen, während sie abschloss und den Riegel vorschob. Resnick meldete sich nach dem siebten Läuten. Im Hintergrund war schwach Musik zu hören. »Hallo«, sagte sie. »Ich bin’s, Lynn.«
    »Es ist doch hoffentlich nichts mit Ihrem Vater«, sagte Resnick.
    »Nein. Es geht um unseren Fall.«
    »Nancy Phelan, meinen Sie?«
    »Ja.«
    »Und was gibt’s?«
    »Es wäre einfacher für mich, Ihnen das zu erklären, wenn wir uns irgendwo träfen. Es ist noch nicht zu spät für ein Bier.«
    »Wie wär’s mit dem ›Partridge‹?«
    Lynn sah auf ihre Uhr. »In zwanzig Minuten.«
    »Abgemacht.«
    Sie legte auf. Es war nur ein Gefühl, das sie veranlasste sich herumzudrehen, einen Sekundenbruchteil bevor sie das Geräusch in der Küche hörte.
    »Es würde mich doch interessieren«, sagte Michael in diesem Moment, »was genau du deinem Kollegen bei einem Glas Bier unter Freunden erzählen wolltest.« Er hielt einen altmodischen Wagenheber in der Hand, der mit Gummi und Stoff umkleidet war. Wenn irgend möglich, wollte er ihr Gesicht nicht verunstalten. Noch nicht.
    »Michael   –«, begann sie.
    »Nein«, sagte er lächelnd und schüttelte langsam den Kopf. »Spar dir die Worte.«
    Sie wollte mit einem Sprung an ihm vorbei, aber er war schnell, und der Wagenheber traf sie zweimal, zuerst auf die Schulter, so brutal, dass sie laut schrie; der zweite Schlag traf sie auf den Hinterkopf, und sie stürzte, mit dem Gesicht voraus, bewusstlos zu Boden.
    »Also, Mr Resnick«, sagte Michael zum Telefon, »wollen wir doch mal sehen, ob Sie wirklich so ein guter Polizist sind.«

49
    Als Lynn anrief, war Resnick noch nicht lange von einem Besuch bei Marian Witczak in Mapperley zurück. Er war ihrer Einladung einerseits aus schlechtem Gewissen gefolgt, weil er sie Silvester versetzt hatte, andererseits weil er sich nicht wieder einen langen frustrierenden Abend voll Ärger darüber antun wollte, dass er es immer noch nicht geschafft hatte, sich einen C D-Player für seine Billie-Holiday-Sammlung zu kaufen. In Marians Salon mit dem Flügel, über dem der Geist Chopins schwebte, hatte er in einemder bequemen Sessel mit den fein gehäkelten Schonern Pflaumenschnaps getrunken und sich erzählen lassen, was er versäumt hatte – die politischen Erörterungen, die Polkas, den Klubkameraden, der sich durch Wodkas fünfzehn verschiedener Geschmacksrichtungen getrunken hatte, ehe er auf einen Tisch geklettert war und den heroischen Abwehrkampf der polnischen Kavallerie um Krakau bis zum bitteren Ende nachgespielt hatte.
    Er war zu Fuß nach Hause gegangen, mit länger werdenden Schritten, und hatte in der Kälte schnell wieder einen klaren Kopf bekommen. Es war Zeit genug geblieben, dem hartnäckig bettelnden Dizzy noch ein kleines Abendessen hinzustellen und Kaffee zu machen, bevor das Telefon läutete und Lynn sich meldete. Jetzt noch einmal aus dem Haus zu gehen, und noch dazu, um etwas zu trinken,

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