Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nebel über dem Fluss

Nebel über dem Fluss

Titel: Nebel über dem Fluss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
Vom Netzwerk:
bettfertig machen und den Kessel aufsetzen, für den Fall, dass Gary noch eine Tasse Tee wollte.
    Wenigstens wurde Gary nicht wie manche andere Männer aggressiv, wenn er getrunken hatte. Und auch nicht scharf. Sie hatte von Brians Frau gehört, dass ihr Mann, wenn er spät abends nach Hause getorkelt kam, kaum fähig, das Schlüsselloch in der eigenen Haustür zu finden, unweigerlich sofort mit ihr in die Kiste wollte. Gary hingegen wollte dann immer nur seinen Schlaf. Erst wurde er ein bisschen anlehnungsbedürftig, kuschelte sich im Bett an ihren Rücken und nuschelte unverständlich vor sich hin, bis er nach einer Weile selig schlafend auf den Rücken rollte. So süß sah er da immer aus, fast als lächelte er, und jung, richtig jung.
    Im Fernsehen kamen jetzt die Nachrichten, Michelle dachte daran, aufzustehen und umzuschalten, aber Natalies Köpfchen lag so schön in ihrem Arm, ihr Atem war so warm auf Michelles Haut, dass sie sitzen blieb. Seit dem Abend vor Weihnachten vermisst, sagte der Sprecher, dann wurde eine Fotografie von ihr eingeblendet, dunkles Haar, das ihr über die Schultern herabfiel, die Frau, mit der sie und Gary auf dem Wohnungsamt gesprochen hatten, die ihnen nach viel Bitten und Betteln und endlosem Papierkrieg, diese Unterkunft beschafft hatte, in der sie jetzt lebten. Nancy Phelan.
    Michelle sprang auf. Das Kind in ihrem Arm jammerteein wenig über die plötzliche Störung, während Michelle rastlos hin und her ging, im Kopf die vielen Fragen, die die Polizistin gestellt hatte. Haben Sie sie gesehen? Wann haben Sie sie gesehen? Auf dem Wohnungsamt? Später nicht mehr? Ganz sicher nicht?
    In den Nachrichten wurde schon die nächste Meldung abgehandelt, von einem Öltanker, der irgendwo nördlich von Schottland auf Grund gelaufen war, aber Michelle hatte immer noch die Worte des Sprechers im Ohr: Die Frau wurde das letzte Mal am Weihnachtsabend kurz vor Mitternacht gesehen.
    Sie dachte an Gary, wie er die Polizistin abgewimmelt hatte. »Ich bin heimgekommen und habe keinen Schritt mehr aus dem Haus gemacht. Bis heute Morgen. Ist das klar?«
    Michelles Hände, die das Baby hielten, waren klamm und kalt.
    »Sie haben Nancy zu keiner anderen Zeit gesehen?«, hattedie Polizistin gefragt.
    »Ich hab’s Ihnen doch gerade gesagt. Ich bin nicht mehr weg gewesen.«
    Michelle drückte ihren Mund leicht auf Natalies Kopf mit dem feinen, flaumweichen Haar. »Wenn Sie jemanden zum Reden brauchen, melden Sie sich.«
    Michelle begann zu zittern.

17
    Robin Hidden rief die Polizeidienststelle am zweiten Weihnachtsfeiertag abends um fünf nach halb elf an, nachdem er gerade in einem Pub in Lancaster mit Genuss ein Glas Boddington Bier getrunken hatte. Er war den ganzen Tag mit seinem Freund Mark in den Bergen östlich des Lake District beim Klettern gewesen, dann waren sie, angenehmmüde, zu Mark gefahren, der in der Nähe der Universität wohnte, hatten ihre schweren Stiefel ausgezogen und die Kleider gewechselt. Sie saßen in der kleinen Bar des Pubs, vor sich noch die Teller, von denen sie Fleischpastete und Fritten gegessen und mit dicken Butterbrotstücken die letzten Soßenreste gewischt hatten. Das Bier schmeckte, und so allmählich begannen sie die Muskeln in ihren Beinen zu spüren. An der anderen Bar lief der Fernseher, hoch oben an der Wand angebracht, und Mark drehte sich zufällig genau in dem Moment herum, als Nancys Foto auf dem Bildschirm erschien.
    »Hey! Ist das nicht   …?«
    Bis sie mit schmerzenden Beinen in den anderen Raum gehumpelt waren, Robin mit seiner Brille hantierend, war das Programm schon weitergelaufen, und kaum einer der Leute, die sie fragten, hatte der Meldung zuvor viel Beachtung geschenkt.
    »Weiß der Himmel, Sportsfreund«, sagte jemand, »aber ganz gleich, was es war, was Erfreuliches war’s bestimmt nicht, darauf können Sie sich verlassen.«
    »Das Mädel da«, sagte der Barkeeper, während er zapfte, »das verschwunden ist, haben Sie die gekannt?«
    Robin Hidden zog einen Fünfpfundschein aus der Tasche und legte ihn auf den Tresen. »K-kleingeld, b-bitte, so viel w-wie möglich. Zum Telefonieren.«
     
    Der Constable, der den Anruf entgegennahm, war nicht bereit, Einzelheiten herauszurücken, sondern beschränkte sich auf die nackten Fakten, soweit sie bekannt waren. Er hörte aufmerksam zu, als Robin erklärte, er sei mit Nancy bekannt, gut bekannt, notierte sich Robins Namen und stellte seinerseits einige Fragen.
    »Wann könnten Sie denn frühestens auf

Weitere Kostenlose Bücher