Nebel über dem Fluss
Körper.«
»Leidenschaftlich also?«
Jetzt sah sie ihn doch an, fassungslos. »Ist das alles, was du an Beweisen brauchst, Charlie? Dass jemand zur Leidenschaft fähig ist? Reicht das, um den Ausschlag zu geben?«
»Ich rufe dich an«, sagte Resnick und trat in den Flur hinaus.
Dana, die ihren Teebeutel im Wasser schwenkte, zeigte keine Reaktion. Der Stunde eingedenk, schloss Resnick die Tür hinter sich fest, aber leise.
24
Wenn von der gnadenbringenden Weihnachtszeit überhaupt etwas zu spüren gewesen war, so versank es sehr schnell in einem Nebel gnadenloser Gewalt. Polizeibeamte, die dringend in ein Nachtlokal gerufen wurden, wo angeblich ein Mann niedergestochen worden war, empfing ein Hagel von Flaschen und Ziegelsteinen, gefolgt von der Explosion einer eilig zusammengebastelten Benzinbombe, die man unter ihren Wagen rollte. Eine Feuerwehrmannschaft, die angerückt war, um einen Brand in den oberen Stockwerken eines Reihenhauses in der Nähe der Wohnung von Gary und Michelle zu bekämpfen, wurde von einer Bande weißer Jugendlicher unter wüsten Beschimpfungen mit Müll beworfen, einer ihrer Schläuche wurde mit einer Axt entzweigeschlagen, die Reifen ihrer Fahrzeuge aufgeschlitzt. Zwei Mitglieder der in dem Haus lebenden Familie erlitten mehrere Knochenbrüche, als sie aus den Fenstern sprangen, die anderen, unter ihnen Kinder zwischen anderthalb und fünf Jahren, trugen schwere Verbrennungen davon. Die Familie war aus Bangladesch.
Gegen fünf Uhr morgens etwa torkelte eine junge Frau, die Glasgower Dialekt sprach, mit einer blutenden Kopfwunde und einem zugeschwollenen Auge in das Polizeirevier am Canning Circus. Sie und ihr Freund, neunundzwanzig, als kleiner Dealer bekannt, hatten in einem leerstehenden Haus in der Nähe des Forest Crack geraucht; sie war eingedöst und von den dumpfen Schlägen seiner Fäuste geweckt worden, die auf ihr Gesicht niedergingen. Bei der Untersuchung in der Notaufnahme waren ein Wangenbeinbruch und eine Netzhautablösung festgestellt worden.
Der Fahrer des letzten Busses vom Old Market Square nach Bestwood Estate weigerte sich, das Fahrgeld eines offensichtlich betrunkenen Mannes anzunehmen, der ihnangepöbelt hatte, und bekam dafür einen Mörtelbrocken an die Windschutzscheibe, der das Glas mittendurch riss. Wieder war ein Taxifahrer überfallen worden, diesmal mit einem Baseballschläger.
In einem amtlichen Rundschreiben wurde allen Beamten Überstundenbezahlung angeboten, die bereit waren, die Kollegen von der Dienststelle Mansfield beim Einsatz anlässlich eines Konzerts mit Rockgruppen der rechten Szene zu unterstützen, das im alten Palais de Dance stattfinden würde. Die Veranstaltung war in faschistischen Zeitschriften in ganz Europa beworben worden und es wurden mindestens zwei Busladungen mit Fans aus Deutschland und Holland erwartet.
»Das wäre doch genau das Richtige für den guten Mark«, bemerkte Naylor, als er das Rundschreiben im Dienstraum weitergab.
»Wie ich den kenne«, meinte Lynn, »hat er schon eine Karte. Wahrscheinlich ganz vorn.«
Nancy Phelans Eltern hatten es sich zum Ritual gemacht, jeden Tag zweimal, bisweilen auch dreimal, die Dienststelle aufzusuchen und ein Gespräch mit Resnick oder Skelton zu fordern, um über den Gang der Ermittlungen Auskunft zu erhalten. Daneben waren sie immer wieder in dieser oder jener lokalen Rundfunksendung zu hören, schrieben an die ›Post‹ und sämtliche anderen Zeitungen, wandten sich direkt an den Bürgermeister und den Parlamentsabgeordneten der Stadt. Clarise Phelan stand Tag für Tag vor den Steinsäulen des Rathauses und hielt ein Plakat mit einem vergrößerten Foto von Nancy hoch, das mit den Worten untertitelt war:
Meine wunderbare Tochter – spurlos verschwunden, und niemand tut etwas.
Nach achtundvierzig Stunden, in denen es so mild wurde, dass Resnick Schal und Handschuhe zu Hause ließ,schlug das Wetter um. Die Temperaturen fielen unter null und hielten sich dort. Zugverbindungen wurden annulliert, Busse fuhren nur beschränkt; Autos schlitterten auf dem Glatteis langsam und unaufhaltsam ineinander, es kam zu Karambolagen, die stundenlang die Straßen blockierten. Knapp an Personal und von Arbeit nahezu überwältigt, versuchten Skelton und Resnick so gut es ging, zu delegieren, Prioritäten zu setzen und irgendwie den Kopf über Wasser zu halten.
Die beiden bislang unerreichbaren Verehrer Nancy Phelans kehrten zurück, erschüttert, als sie hörten, was geschehen war, aber
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