Nebel über dem Fluss
zurück. Bog dann rechts ab, in Richtung Boulevard.«
»Und er ist einfach sitzen geblieben?«
»Und hat sie im Spiegel beobachtet.«
»Sonst nichts?«
»Er hat sie nie wieder gesehen.«
»Sagt er.«
Resnick nickte.
Skelton war aufgestanden und begann zu wandern, vom Schreibtisch zur Wand, von der Wand zum Fenster, vom Fenster zurück zum Schreibtisch. »Sie ist spurlos verschwunden, Charlie. Ein gut aussehende junge Frau. Sie kennen das doch, Sie wissen, wie das in solchen Fällen ist. Man vertut mehr Zeit, als man sich leisten kann, damit, den Hinweisen jeder sehbehinderten Oma von Ilkeston bis Arbroath nachzugehen. Diesmal haben wir eine Wüste da draußen. Kein Mensch hat was gesehen.«
An seinem Schreibtisch zurück, ergriff Skelton seinen Füller, schraubte ihn auf, inspizierte die Feder, schraubte den Füller wieder zu und legte ihn zurück an seinen Platz. Resnick rutschte in seinem Sessel hin und her, faltete die Hände und löste sie wieder voneinander.
»Neun- von zehnmal ist es kein hergelaufener Irrer, der den ganzen Tag wahre Geschichten über bekehrte Serienmörderliest, die jetzt wie die Heiligen leben. Das wissen Sie so gut wie ich. Es sind die Ehemänner, die Liebhaber, die frustrierten Ehefrauen.«
Die Schublade, in die die Bilder von Alice verbannt waren, befand sich nahe Skeltons rechter Hand.
»Sie haben ja recht mit Ihrer Vorsicht, Charlie. Aber wir dürfen nicht zulassen, dass er die Oberhand gewinnt und sich einbildet, er kann mit uns umspringen, wie er will. Wir haben ihn, Charlie, er darf uns jetzt nicht noch einmal entkommen.«
29
Nachdem Dana fast den ganzen Tag in der Stadt einkaufen gewesen war, beschloss sie, auf dem Heimweg noch einen Kaffee im ›Potter’s House‹ zu trinken. Liza, die Nachbarin, die gleich über ihr wohnte, Liza mit dem quiekenden Lachen und dem quietschenden Bett, saß oben an einem Tisch und erholte sich bei einer Kanne Tee von einer Sitzung im Bräunungs- und Kosmetikstudio. Sie arbeitete bei Gericht und hatte noch etwas Zeit totzuschlagen, bevor sie gefahrlos ihren heimlichen Liebhaber aufsuchen konnte, den vierundsechzigjährigen Vorsitzenden eben dieses Gerichts. Dana hatte ihm einmal die Haustür geöffnet, als er zu Liza wollte, und gedacht, er sammle für die Altenhilfe. Wenn jetzt über ihr das Bett knarrte, hielt sie jedes Mal den Atem an und wartete auf das Sirenengeheul des Rettungswagens.
Sie überredete Liza, sich noch eine Kanne Tee zu bestellen, und setzte sich zu einem gemütlichen Schwatz über Kreuzfahrten in wärmere Regionen und die qualvollen Bemühungen, die Figur zu halten, zu ihr. Als sie sich trennten, Liza sich auf den Weg zu ihrem Liebhaber begab und Dana mit ihren Einkaufstüten das letzte Stück Heimweg in Angriff nahm, war es beinahe sechs Uhr.
Dana hatte ihre Tasche geleert, die neue Bluse in den Schrank gehängt, die neue Unterwäsche von Next in der Schublade verstaut und die Sting-CD aufgelegt. Der arme alte Sting, wenn er nur aufhören wollte, sich um das Wohl der Welt zu sorgen, und endlich wieder einen Song wie »Every Breath You Take« schriebe.
Als die Flasche Chardonnay, die sie für später aufheben wollte, sicher im Kühlschrank verwahrt war, machte sie einen bulgarischen Weißwein auf, den sie bei Safeway besorgt hatte, um sich die Wartezeit zu versüßen. Schon beim ersten Schluck merkte sie, dass sie dringend auch etwas essen musste. Nachdem sie eine Dose Kartoffelsuppe mit Brunnenkresse in einen Topf gekippt hatte, kramte sie aus den Tiefen des Kühlschranks das letzte Muffin hervor und schnitt es durch, um die beiden Hälften in den Toaster zu stecken.
Sie aß die Suppe in der Küche und blätterte dabei in alten Reisebroschüren. Als sie ihr zweites Glas ausgetrunken hatte, war sie mit dem Kreuzworträtsel in der Zeitung bei drei waagerecht und neun senkrecht angelangt, und es war noch nicht einmal sieben. Immer noch über eine Stunde, wenn er überhaupt pünktlich kam. In ihrer Verzweiflung rief sie bei ihrer Mutter an, die aber, dem Himmel sei Dank, nicht zu Hause war. Na gut, zur Not kann man immer ein Bad nehmen, sagte sich Dana.
Schon ausgekleidet, holte sie sich den Roman von Joanna Trollope, ein Taschenbuch, das eine Freundin ihr zu Weihnachten geschenkt hatte. Sie hatte das Grußkärtchen darin gelassen, um später zu wissen, bei wem sie sich bedanken musste. Der Spiegel war schon beschlagen, als sie sich mit einem Seufzer des Wohlbehagens ins Wasser gleiten ließ. Sie las das erste
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