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Nebel über dem Fluss

Nebel über dem Fluss

Titel: Nebel über dem Fluss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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hatte die ganze Nacht kaum geschlafen, jedes Geräusch hatte sie geweckt. Das Knallen einer Autotür auf der Straße, das Quietschen des Betts über ihr, jedes Malwar sie hochgefahren und hatte mit hämmerndem Herzen gelauscht. Als sie endlich ihre morgendliche Dusche nahm, fühlte sie sich wie gerädert.
    Sie trank eine Tasse Tee und versuchte, sich auf das Gequassel auf Radio Four zu konzentrieren, als das Telefon läutete.
    »Andrew hat gerade deine kleine Überraschung entdeckt«, berichtete Yvonne Ward. »Ich glaube, du hättest sie besser nicht signiert.«
    Bei allem, was in den letzten Stunden passiert war, hatte Dana die Botschaft ganz vergessen, die sie ihrem Chef in seinem Büro hinterlassen hatte, eine in Weinlaune mit Lippenstift an die Wand gekrakelte drastische Darstellung seines fehlgeschlagenen Verführungsversuchs.
    »Scheiße«, sagte Dana.
    »Genau.«
    Dana wusste nicht, was sie sagen sollte.
    »Am besten lässt du ihm erst mal eine Stunde Zeit runterzukommen«, meinte Yvonne, »bevor du hier erscheinst. Dann wird er wahrscheinlich mit dir reden wollen.«
    »Und ich weiß auch schon, worüber.«
    »Ganz unter uns«, sagte Yvonne, »es wurde langsam Zeit, dass die Welt mal erfährt, was für ein Typ das wirklich ist.«
    »Sag bloß, er hat’s bei dir auch versucht«, rief Dana.
    »Was soll ich sagen, wann du kommst?«, fragte Yvonne. »Zehn? Halb elf?«
    Ein paar Minuten lang saß Dana nur da und starrte das Telefon an. Dann gab sie sich einen Ruck, zog ihren schwarzen Hosenanzug mit der roten Seidenbluse an, machte sich die Haare und das Gesicht noch sorgfältiger als sonst zurecht, trank zwei Tassen starken Kaffee, die zweite mit einem Schuss Brandy und ging los.
    »Mann, siehst du gut aus«, sagte Yvonne Warden bewundernd. »In Anbetracht der Umstände.«
    »Man darf sich von solchen Scheißtypen nicht unterkriegen lassen«, entgegnete Dana.
    »Er erwartet dich«, sagte Yvonne.
    Dana lächelte und ging.
    Ein Geruch nach frischer Farbe kam ihr entgegen, der merklich stärker wurde, als sie die Tür zum Büro öffnete. Andrew Clarke telefonierte mit jemandem, aber als Dana eintrat, senkte er den Hörer und stand auf. Hinter ihm strich ein Handwerker im graublauen Kittel die Wand, auf der Dana die bildliche Darstellung ihres weihnachtlichen Nahkampfs mit ihrem Chef hinterlassen hatte. Das letzte Bild, durch den ersten Anstrich gerade noch erkennbar, zeigte einen verstörten Andrew, der mit offenem Hosenstall und schlaff schlenkerndem Penis die Straße hinunter hinter ihr herjagte, dass ihm die Schweißtropfen von der Stirn flogen.
    »Sie finden das wahrscheinlich komisch.«
    »Sie nicht?«
    Der Maler hinter ihnen lachte unterdrückt.
    »Raus!«, fuhr Clarke ihn an.
    »Aber ich bin noch nicht   –«
    »Raus. Sie können das später fertig machen.«
    Der Mann drängte sich mit einem breiten Grinsen an Dana vorbei und ließ sie allein.
    »Ihnen ist klar, dass die Antwort darauf nur Entlassung sein kann«, sagte Andrew Clarke.
    »Wie wär’s mit Rücktritt?«
    Er hüstelte hinter vorgehaltener Hand. »Meinetwegen, wenn Sie das wollen.«
    »Ich dachte eigentlich an Ihren, nicht an meinen.«
    »Dann leiden Sie an Wahnvorstellungen.«
    Dana lächelte. »Wenn Sie mir kündigen, zeige ich Sie wegen Nötigung und sexueller Belästigung an. Wenn Sie mir Zeit lassen, mir etwas Neues zu suchen, mir ein gutes Zeugnis ausstellen und einen Bonus zahlen, sagen wir, einhalbes Jahresgehalt, dann stecke ich auch den Brief an Ihre Frau nicht ein, den ich hier in der Tasche habe. Überlegen Sie es sich, Andrew, denken Sie darüber nach, wie Audrey reagieren würde. Sie finden mich in der Bibliothek, wenn Sie so weit sind. Es ist gerade eine neue Serie Dias hereingekommen, die katalogisiert werden muss.«
    Draußen im Flur zwinkerte sie dem Handwerker zu. »Ich glaube, Sie können jetzt wieder reingehen.«
     
    Der Brief war mit der zweiten Post gekommen, an Superintendent Jack Skelton adressiert und mit dem Vermerk »Persönlich« versehen. Er war bis zum Nachmittag unten liegen geblieben, bevor der Beamte an der Wache ihn mit einem Packen Zeitungen und anderer Post ins Büro des Superintendenten hinaufbringen ließ. Dort wiederum lag er unbeachtet auf dem Schreibtisch, bis Skelton ihn kurz vor fünf zwischen zwei Rundschreiben des Innenministeriums herausfischte und erst einmal schüttelte. Die Klappe war mit zwei Klammern verschlossen und dann mit Klebstreifen zugeklebt worden. Skelton schnitt das Klebeband an den

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