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Nebel über dem Fluss

Nebel über dem Fluss

Titel: Nebel über dem Fluss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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geleistet; hatte zugehört, während Silver sich an Gigs erinnerte, die er gespielt, Platten, die er aufgenommen hatte, an Organisatoren und Agenten, die ihn um das gebracht hatten, was von Rechts wegen ihm zugestanden hätte; an den Tag, an dem er in New York Charlie Parker begegnet war, den Abend, an dem er beinahe mit Coltrane gespielt hätte. Und dabei hatte er die ganze Zeit versucht, ihn vom Alkohol wegzubringen und zu ermutigen, sein Leben in die Hand zu nehmen.
    So plötzlich wie Ed aufgetaucht war, verschwand er wieder. Acht Monate später kam eine Karte aus London:
Charlie,
bin wieder in London. Im Jazz Café wollen sie mich nicht haben, aber ich habe einen kleinen Gig im Brahms & Liszt in Covent Garden, immer Freitagabend. Schau doch mal vorbei. Ed .
Aber irgendwie hatte Resnick es nie geschafft.
    Als er in die Küche ging, um sich das zweite White Shield zu holen, hatte etwas anderes von seinen Gedanken Besitz ergriffen: Bilder von Harry und Claire Phelan, wie sie wach in ihren Hotelbetten lagen und auf Nachricht warteten, ob ihre Tochter noch am Leben war; von Lynn auf der nächtlichen Rückfahrt aus Norfolk, nachdem sie ihren Vater ins Krankenhaus gebracht hatte, allein mit sich und was für Nachrichten?
     
    Michelle war halb die Treppe hinunter, als sie draußen Gary hörte. Zumindest nahm sie an, dass es Gary sei. Zuerst konnte sie nur wütend erhobene Stimmen ausmachen, gedämpft und undeutlich. Sie drückte die Kleine an sich, die zu jammern angefangen hatte, und brachte sie eilig in ihr Bettchen. Sie war jetzt gewiss, dass es Gary war. Mit Brian. Was war da passiert? Zwei Männer, die seit Jahren die dicksten Freunde waren.
    Sie packte Natalie in ihre Decken, als Gary zur Tür hereintorkelte.
    »Gary, was war denn   –«
    Sie brach ab, als sie das Blut sah. Ein breiter roter Streifen auf Garys Gesicht.
    »Gary, was ist –?«
    Mit dem Arm stieß er sie zur Seite.
    »Gary, du blutest.«
    »Glaubst du, das weiß ich nicht, verdammt noch mal?«
    Von ihren lauten Stimmen gestört, wälzte sich Karl in seinem Notlager auf dem Sofa zur anderen Seite. Natalie begann zu weinen. Michelle folgte Gary zum Badezimmer und blieb abwartend an der Tür stehen.
    »Scheißkerl«, schimpfte Gary, als er sich im Spiegel sah. Er berührte seine Wange und zuckte zusammen. »Mieser Scheißkerl.«
    »Gary, lass mich   …«
    Mit einem wütenden Knurren schlug er ihr die Tür vor der Nase zu.
     
    Sie lag im Bett und lauschte dem Geräusch des Regens, der auf die losen Dachschindeln prasselte, dem Geräusch ihres Atems. Draußen im Flur, wo das Wasser durchs Dach drang, tropfte es rhythmisch in einen Plastikeimer. Natalie war wieder eingeschlafen und Karl war zum Glück gar nicht richtig aufgewacht. Sie hatte Gary, nachdem er aus dem Bad gekommen war, laut in der Küche hantieren hören, wahrscheinlich beim Teekochen. Vielleicht, dachte sie, würde er den Fernseher einschalten, sich neben Karl aufs Sofa legen und einschlafen. Aber dann hörte sie seine Schritte auf der Treppe.
    »Michelle?«
    Seine Jeans fiel schwer auf den zerschlissenen Teppichboden, Pullover und Hemd folgten.
    »’chelle?«
    Seine Hand an ihrer Schulter war kalt, und sie schreckte zusammen.
    »Tut mir leid. Ehrlich.«
    Er drückte das Gesicht an ihren Rücken, schob die Hand über ihre Schulter, bis seine Finger ihre Brust fanden.
    »Ich hätte dich nicht so anschnauzen sollen. Es hatte nichts mit dir zu tun.«
    Michelle drehte sich herum und befreite sich von seiner Hand. »Was ist denn passiert? Sag’s mir doch wenigstens jetzt.«
    »Es war nichts. Ehrlich. Wir haben nur rumgeblödelt, Brian und ich.«
    »Nach Rumblödeln hat sich das aber nicht angehört. Und das hier   …« Er zuckte zurück, als sie sich ihm näherte, ließ aber doch zu, dass sie sich die Wunde unmittelbar unter dem Haaransatz ansah.
    »Doch, wir haben nur Blödsinn gemacht. Du kennst ja Brian, wenn er ein paar Bier gekippt hat.«
    Wieder verkniff es sich Michelle zu fragen, woher er überhaupt das viele Geld hatte?
    »Ist schon vorbei«, sagte Gary. »Schnee von gestern, wie meine Mutter sagen würde.« Er hob die Hand wieder zu ihrer Brust, verwunderte sie durch seine Zärtlichkeit und streichelte sie, bis er spürte, wie sich ihre Brustspitzen unter dem T-Shirt aufrichteten.

39
    Wie lange der Fremde schon ans Fenster hämmerte, wusste Lynn nicht, als sie die Augen öffnete und hinaussah. Der Wagen war an einem Weidezaun zum Stillstand gekommen, der rechte Kotflügel von

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