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Nebel über dem Fluss

Nebel über dem Fluss

Titel: Nebel über dem Fluss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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Eigentlich alles.«
    »Auch Mord?«
    »Ja«, antwortete sie. »Auch Mord.«
    Das Pärchen ihnen gegenüber lachte, kultivierte Stimmen, so fehl am Platz hier wie edles Porzellan. Die junge Frau trug einen langen geschlitzten Rock, wahrscheinlich Seide, der den größten Teil ihres Oberschenkels entblößte. Der junge Mann streichelte sie von Zeit zu Zeit zerstreut. Sie waren vielleicht neunzehn.
    »Was ist los?«, fragte Michael.
    Lynn merkte, dass sie zu weinen angefangen hatte. »Ach, nichts«, sagte sie und konnte nicht aufhören. Zwei Taxifahrer drehten sich nach ihr um.
    »Das ist sicher der Unfall«, meinte Michael. »Die Reaktion nach dem Schock.«
    Lynn schniefte und schüttelte den Kopf. »Ich habe geweint, als es passierte. Nur deshalb ist es passiert.«
    »Aber warum?« Michael neigte sich näher zu ihr. »Warum haben Sie geweint?«
    Sie erzählte ihm alles: von ihrem Vater, von ihrer Angst. Mittendrin griff er über den Tisch und umfasste ihre Hand.
    »Das tut mir leid«, sagte er, als sie schwieg. »Das tut mir wirklich leid. Ehrlich.«
    Lynn zog ihre Hand zurück, kramte in ihrer Tasche nach einem Papiertuch, das noch zu gebrauchen war, und schnäuzte sich kräftig.
    »Soll ich Sie nicht nach Hause begleiten?«, fragte er draußen auf der Straße.
    »Nein, nicht nötig.«
    »Es würde mich aber beruhigen.«
    »Michael   …«
    »Junge Frauen sollten um diese Zeit nicht allein durch die Straßen laufen – mein Gott, ist es wirklich schon so spät?«
    »Da sehen Sie’s.« Lynn musste lachen.
    »Kommen Sie.« Er nahm sie beim Arm. »Zeigen Sie mir den Weg.«
    Sie entzog sich seiner Hand, ließ es aber zu, dass er mit ihr ging, am Palais vorbei in die Broad Street mit dem neuen Kino, das zu besuchen sie bisher nicht geschafft hatte, obwohl sie es schon ewig vorhatte.
    »›Spurlos verschwunden‹«, sagte Michael mit einem Blick auf die Anschläge. »Haben Sie den mal gesehen?«
    »Nein.«
    »Ein toller Film«, sagte er.
    Am Eingang zum Hof blieb sie stehen. »Hier sind wir.«
    »Hier wohnen Sie?«
    »Dank der Wohnungsbaugenossenschaft.«
    Vorsichtig ergriff er ihre Hand. Gott, wie ich diesen Teil hasse, dachte Lynn. Entschlossen trat sie näher und küsste ihn auf die Wange. »Gute Nacht. Und vielen Dank.«
    »Sehe ich Sie wieder?«, rief er ihr nach, und seine Stimme hallte ein wenig zwischen den Mauern.
    Sie drehte den Kopf nach ihm, sagte aber nichts. Michael störte sich nicht daran. Er wusste, dass er sie wiedersehen würde.

40
    Abschließend sagte der Assistant Chief Constable zu Skelton: »Ganz egal, wie dieses Unternehmen ausgeht, Jack, verlieren Sie auf keinen Fall das verdammte Geld aus den Augen.«
    »Das reicht«, meinte Graham Millington, der taxierend eine der Sporttaschen hob, »um das Drogendezernat bis nächstes Jahr mit Crack zu versorgen.«
    Skeltons Anweisungen waren klar: absolute Zurückhaltung, Abstand wahren, ja nichts überstürzen. Abwarten, hieß die Parole. Als er nach der Besprechung die Treppe herunterkam, stand ihm die Anspannung deutlich ins Gesicht geschrieben.
    »Wenn der Mistkerl uns verarscht, Charlie«, sagte Reg Cossall, »wird der gute Jack nicht so schnell wieder aus der Scheiße rauskommen.«
    Resnick und Millington leiteten das A1 7-Team , Helen Siddons und Cossall waren an der nördlich gelegenen A631 eingesetzt. »Hey, das ist die große Chance, Charlie«, hatte Cossall lachend gesagt. »Wenn ich da mit der Siddons stundenlang im Auto hocke, krieg ich vielleicht mal raus, was den Alten in der Unterhose kitzelt. Hab natürlich für Schutz gesorgt.« Augenzwinkernd zog er einen Lederhandschuh heraus. »Man will sich ja keine Frostbeulen holen.«
     
    Seit dem vergangenen Abend waren in jedem der beiden ›Little Chef‹ zwei Beamte im Einsatz. Kameras mit Infrarotfilm und Gummilinsen, wie sie normalerweise zur heimlichen Beobachtung der königlichen Familie verwendet wurden, waren auf beide Parkplätze und alle Eingänge gerichtet. Die Beamten, die mit der Übergabe betraut waren, saßen in ihren Autos, hinter sich auf dem Rücksitz das Lösegeld, und erörterten scherzend die Möglichkeit, das Geld selbst einzustecken und für einen Monat in die Karibik oder an die Costa del Sol zu verschwinden. Abfangfahrzeuge, über Funk miteinander verbunden, waren in Abständen an allen größeren Straßen rund um die Restaurants postiert. Sobald sich der Gesuchte zeigte, würde er in ständig wechselnden Fahrzeugen bis zu seinem Zielort verfolgt werden.Insgesamt waren

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