Nebelflut (German Edition)
Beisein, wie Patrick es dem Kindermädchen aufgetragen hatte.
Er öffnete das Handschuhfach und zog das kleine Päckchen hervor, das Jerzy ihm gegeben hatte. Zerknülltes Zeitungspapier, notdürftig um das schwere Metall gewickelt. Patrick hatte noch nie eine Waffe besessen, vielleicht weil er nicht geahnt hatte, wie gut sich das anfühlte. Wie überlegen man sich vorkam, wenn man den Finger um den Abzug legte. Egal, was in der letzten Zeit geschehen war und was noch geschehen würde – niemand würde seine Tochter anrühren, das schwor sich Patrick. Nie würde sie das gleiche Schicksal wie Amy ereilen.
Er ließ die Waffe wieder im Handschuhfach verschwinden, stieg aus und begab sich, wenn auch unwillig, zurück auf die Party. Die Gäste waren deutlich beschwipster als vorhin und tranken mit Sekt und bunten Cocktails auf das neue Jahr. Patrick ließ den Blick durch den Raum wandern und entdeckte Grace allein auf dem Balkon. Urplötzlich fragte er sich, wie sie sich fühlte, wie sie die letzte Woche erlebt hatte. Ob sie damit zurecht kam. Er nahm im Vorbeigehen zwei Gläser von einem Tablett und trat zu ihr nach draußen.
»Grace.«
Sie drehte sich zu ihm um und ihr nachdenklicher Gesichtsausdruck verwandelte sich zu einem Lächeln. Natürlich – für sie war er der strahlende Held, der gerade einem verwirrten, alten Mann das Leben gerettet hatte. In Wahrheit hatte er ein flaues Gefühl im Magen, weil er das neue Jahr mit einer Lüge beginnen würde.
Grace schlang die Arme um ihn und begrüßte ihn mit einem leidenschaftlichen Kuss. »Frohes neues Jahr, Liebling«, hauchte sie ihm ins Ohr. »Jetzt wird alles wieder besser, das verspreche ich dir.«
Er antwortete nicht, denn er glaubte ihr nicht. Stattdessen küsste er sie und brachte sie so für einen Moment zum Schweigen. Sein Gewissen wog tonnenschwer und Grace machte es nicht besser, als sie ihn fragte, ob er dem Mann hatte helfen können.
»Mach dir keine Gedanken. Ich habe ihn doch noch vom Krankenhaus überzeugen können.« Er reichte ihr ein Glas und stieß mit ihr an.
Grace legte den Kopf an seine Brust und entspannte sich spürbar. »Wenn du dich ein bisschen anstrengst, kannst du mich vom Schlafzimmer überzeugen. Oder vom Küchentisch, wo Tammie schon mal bei Sophie schläft …«
Patrick fühlte sich mies, doch obwohl er sie belog und hinterging, war er unfassbar froh, sie zu haben. Er wollte der Mann sein, den sie verdiente, darum sagte er sich, dass er sich mehr Mühe mit ihr geben musste. Gerade jetzt mussten sie zusammenhalten und damit sie das konnten, durfte sie keinesfalls etwas von seinen heimlichen Ausflügen erfahren, von den Drogen, mit denen er sich den Alltag erleichterte, und der Finsternis, die er seit nunmehr neunzehn Jahren mit sich herumtrug.
»Komm, wir verabschieden uns. Ich überzeuge dich auf dem Weg nach Hause.« Grace lachte leise und zog ihn mit zu den Mackenzies.
-27-
Am Morgen des zweiten Januar riss der Wecker Brady aus dem Tiefschlaf und ließ ihn erschrocken hochfahren. Es dauerte einen Augenblick, bis er sich orientiert und sein Pulsschlag sich beruhigt hatte. Er stemmte sich in die Höhe und stellte fest, dass es schon wieder regnete. Der düstere Himmel hing tief über der Stadt und durch das geöffnete Schlafzimmerfenster fegte eisiger Wind. Am liebsten hätte er sich direkt wieder ins Bett gelegt. Doch er wollte sich nicht vollends Seans Zorn zuziehen, also zog er sich Shorts und Socken an und schlurfte ins Wohnzimmer. Der Anrufbeantworter blinkte aufdringlich. Brady hörte ihn ab, während er sich in der Küche einen Kaffee kochte.
»Hallo Brady? Hier ist Caitlín.« Bradys Schwester machte eine kurze Pause, in der er sie demonstrativ ausatmen hörte, bevor sie fortfuhr. »Gut, schön. Ich wollte nur sagen, dass ich es sehr nett fand, dich mal wieder getroffen zu haben. Außerdem wäre es toll, wenn du nicht wieder ein Jahr bis nächstes Silvester verstreichen lassen würdest, bevor du deine Familie wieder beehrst.«
Brady schaute zum Anrufbeantworter herüber und lächelte. Typisch Caitlín. Sie war durch und durch ein Familienmensch. Am liebsten würde sie all ihre Verwandten ständig um sich herum haben. Offenbar hatte sie vorgestern Abend Blut geleckt und bekam jetzt nicht genug von der Familienidylle. Unwillkürlich fragte er sich, ob sie diese Kontrollanrufe auch bei Liam, ihrem anderen Bruder, machte oder ob sie es nur auf ihn abgesehen hatte.
»Also …« Er konnte förmlich spüren wie sie nach
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