Nebelflut (German Edition)
ab. Kein großer Smalltalk, keine rührseligen Familiengeschichten, kein Verhandeln.«
»Gibt es sonst noch etwas, das ich über ihn wissen muss?«
»Ich denke nicht. Was denken Sie?«
»Der Name wäre hilfreich.«
»Den habe ich nicht.«
»Sehen Sie auf dem Herkunftsnachweis nach.«
Grisham seufzte. »Der ist im Safe, den Safeschlüssel hat meine Frau und die ist nicht hier.«
»Wann kommt sie wieder?«
»Ich hoffe irgendwann.«
Brady stand auf. Er war sich jetzt sicher, dass ihm der Pub-Besitzer extra nicht weiterhalf. Die typische Feindseligkeit der Landbewohner war in Grisham deutlich zu spüren, auch wenn er sich alle Mühe gab, freundlich zu wirken.
»Wenn Ihnen noch etwas einfällt …«
»Dann werde ich Sie selbstverständlich sofort informieren.« Grisham erhob sich auch.
»Ich finde alleine heraus, danke.« Brady ging zur Tür.
»Ich wollte mir auch nur einen neuen Drink holen. Auf Wiedersehen.«
Brady ging und ließ die Tür etwas zu fest hinter sich ins Schloss fallen.
-29-
In den vergangenen acht Tagen war Patricks Mutter regelrecht verfallen. Schwer auf seinen Vater gestützt, schritt sie über die schmalen Pfade, die den Grabacker unterteilten. Der Pfarrer wies ihnen den Weg, Patrick und Grace folgten Jack und Evelyn, außer ihnen war niemand hier. Sein Vater hatte die Dorfgemeinschaft gebeten, nicht auf der Beerdigung aufzutauchen, und erstaunlicherweise wurde seinem Wunsch Folge geleistet. Jack hatte auch darauf bestanden, dass keine klassische Beisetzung stattfinden sollte – keine Totenwache, keine Feier, kein Campen am Grab. Patrick wusste, dass seinem Vater dabei nicht wohl war, aber er tat es aus Rücksichtnahme auf Evelyn.
Patrick selbst wäre auch lieber zu Hause geblieben. Er fühlte sich schlecht dabei, Amy zu begraben und hatte das Gefühl, dass sie einen Fehler machten. Während der ganzen letzten Jahre hatten sie nicht einmal darüber gesprochen, sie für tot erklären zu lassen, sie hatten auch nirgends ein provisorisches Grab für sie errichtet und jetzt würden sie ihre Überreste einfach hier zurücklassen. Was sie taten, war nicht, ihr die letzte Ehre zu erweisen – nein, im Gegenteil. Sie machten das Gleiche mit ihr, was ihr auch ihr Mörder angetan hatte.
Plötzlich blieben seine Eltern stehen. Sie hatten die Stelle erreicht, an der Amy begraben werden sollte. Die winzige Grube war bereits ausgehoben worden. Patrick starrte das viel zu kleine Rechteck aus Schwärze an und spürte, dass Grace ihn beobachtete. Besorgt und fragend, dieser Blick wurde langsam zur Gewohnheit.
»Schon gut«, flüsterte er, zumindest glaubte er, dass er flüsterte. »Alles okay, Gracie.«
Der Pfarrer drehte sich zu ihnen um, in den Händen eine Kiste aus braun lackiertem Eichenholz. Alles, was Amy noch war, lag darin. Die Polizei hatte ihnen ihre Überreste gestern übergeben, es hatte kein Bestatter zwischengeschaltet werden müssen. Patrick selbst hatte das Beutelchen mit ihren Zähnen, den zerfledderten Teddy und das Nachthemd, aus dem irgend so ein gottverdammter Spurensicherer quadratische Stücke herausgeschnitten hatte, in diese Kiste, diese lächerliche Karikatur eines Sarges, gelegt.
»Familie Namara …« Der Geistliche seufzte und blickte hinab in die Grube, die man für Amy auf dem anonymen Gräberfeld ausgehoben hatte. »Es ist schön, dass Sie sich hier eingefunden haben. Ihre Tochter – und Schwester – wäre sicher froh, wenn sie wüsste, dass ihre Familie immer noch an sie denkt.«
Evelyn begann wieder zu weinen und Jack reichte ihr sein Stofftaschentuch. Patrick entzog Grace seine Hand, damit sie nicht spürte, wie er schwitzte. Gestern Abend, nachdem er Amys Überreste verpackt hatte, war ihm das Kokain ausgegangen. Er hatte das Gefühl, dass tausend Ameisen unter seiner Haut umherkrabbelten und die Realität prasselte auf ihn ein wie ein Hagelsturm.
»Und ich bin mir sicher, dass auch Amy immer noch an Sie denkt, an die glücklichen Stunden, die sie mit Ihnen verbringen durfte, bevor Ihrer gemeinsamen Zeit ein allzu frühes Ende beschieden wurde.«
Patrick blickte hinüber zu Jack. Wie konnte sein Vater diese Situation so ruhig, so stoisch ertragen? Wieso wurde er nicht wütend, jetzt, wo sich die Vermutung bestätigt hatte, die er den Detectives noch an Weihnachten vorgeworfen hatte? Er stand einfach nur da, starrte die ausladende Eibe an, unter der Amys Grab liegen würde und hielt den Kranz, den sie für sie hatten anfertigen lassen, so lässig in der
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