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Nebelflut (German Edition)

Nebelflut (German Edition)

Titel: Nebelflut (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nadine d’Arachart
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stieg aus und rannte zum Eingang, während sein Hirn Bilder der Umgebung als verschwommene Momentaufnahmen abspeicherte: Wäscheleinen, nachtschwarzen Rasen, Graffitis auf weißer Wandfarbe.
    Er betrat das Gebäude, lief die Treppen hinauf und hatte kaum die letzten Stufen genommen, als die Tür des Dealers auch schon von ihm persönlich aufgerissen wurde. Sein Gesicht war schweißnass und seine Augen vor Schreck geweitet.
    »Was hast du denn so lange gemacht?« Er packte Patrick an der Schulter und zerrte ihn in die Wohnung. »Da lang! Na los!«
    Das Zimmer, dessen Tür Jerzy sonst immer verschlossen hielt, war ein Matratzenlager. Vier oder fünf provisorische Schlafstätten scharten sich um einen Fernseher, der mit abgestelltem Ton vor sich hin flackerte. Der Boden war übersät von Getränkeflaschen und Pizzaresten, eine lieblos aufgehängte Girlande spannte sich quer durchs Zimmer. Gleich unter dem einzigen Fenster hatte sich ein kleines Menschenknäuel um einen Mann gebildet, von dem Patrick nur einen spastisch zuckenden Turnschuh sah.
    »Gehen Sie aus dem Weg! Ich bin Arzt!«
    Jerzy wiederholte Patricks Worte in schrillem Polnisch und riss die Partygäste von dem krampfenden Junkie weg, der sein Cousin sein musste. Patrick stellte zu seiner Erleichterung fest, dass er, wie er am Telefon angeordnet hatte, beatmet wurde. Eine gefärbte Blondine hing über ihm und presste rhythmisch Luft in seine Lungen.
    Patrick ging neben ihr in die Knie und fing Jerzys hoffnungsvollen Blick auf. So hatte er ihn noch nie erlebt und er war sich nicht wirklich sicher, ob die Wangen des Dealers nass von Schweiß oder Tränen waren.
    Die Frau bemerkte Patrick und richtete sich auf, völlig außer Atem, das halbe Gesicht bedeckt mit verschmiertem roten Lippenstift. Auch der leblos geöffnete Mund des Bewusstlosen war voller Lippenstift, als wären die beiden bei einem leidenschaftlichen Kuss gestört worden. Was diese Vorstellung allerdings mehr als lächerlich machte, war, dass der junge Mann, der optisch auch Jerzys Bruder hätte sein können, dem Tod offenbar näher war als dem Leben. Seine Lippen waren blau angelaufen, sein Kopf schlug jetzt, wo die Frau ihn losgelassen hatte, unkontrolliert von links nach rechts.
    Patrick ergriff den Arm des Junkies und hielt ihn so ruhig wie möglich, um seinen Puls zu fühlen. Die Haut war kalt und feucht. Ekel überkam ihn.
    »Tu irgendwas, verdammte Scheiße! Wenn er hier verreckt dann–« Jerzy, der mit panikverzerrtem Gesicht neben ihm kauerte, brach ab, als er Patricks Blick auffing.
    »Wie viel hat er genommen?«
    »Keine Ahnung, wir haben ein Schmerzpflaster mit Fentanyl ausgekocht …«
    Patrick entdeckte ein Einmachglas, das auf dem Fensterbrett stand. Ein Stofffetzen, der vermutlich das besagte Schmerzpflaster war, schwamm in einer klaren Flüssigkeit.
    »Wie kann man so bescheuert sein?« Jeder, der sich auch nur halbwegs mit Medikamenten oder Drogen auskannte, wusste, dass kaum etwas so schwer zu dosieren war wie Fentanyl. Selbst einen Süchtigen, der Opiate gewöhnt war, konnte eine leichte Überdosierung töten.
    Patrick griff nach der Tasche, die er aus der Praxis geholt hatte, öffnete sie und zog eine Spritze hervor. Während er die Injektion vorbereitete, wies er die Menschenmenge um sich herum an, den Mann weiter zu beatmen. Die Blondine kam sofort herbeigeeilt. Vielleicht war sie seine Freundin. Patrick stellte sich vor, wie Grace zuckend am Boden lag und er nichts für sie tun konnte, und allein der Gedanke jagte ihm kalte Schauer über den Rücken. Dann wurde Grace zu Tammie und er musste den Gedanken verscheuchen, um nicht auf der Stelle durchzudrehen.
    »Was gibst du ihm? Ephedrin?« Jerzy wischte sich nervös das Haar aus der Stirn.
    »Naloxon. Haltet ihn fest.«
    Jerzy befahl auf Polnisch einen weiteren Mann zu sich, der die Schultern des Junkies zu Boden presste. Er selbst hielt die Beine fest. Patrick setzte die Spritze am Oberarm des Bewusstlosen an und stach ihm die mikroskopisch dünne Nadel in den Muskel. Langsam und gleichmäßig drückte er den Kolben nach unten. Jerzys Cousin stieß ein tiefes, erschöpftes Grunzen aus, dann ließ der Krampf langsam nach und er rührte sich nicht mehr. Für einen Moment herrschte Schweigen.
    »… was ist mit ihm?«, fragte schließlich Jerzy, der nun wie ein verängstigter Junge klang.
    »Das müssen wir jetzt abwarten.« Patrick beugte sich zu dem Bewusstlosen hinab und spürte, dass dieser selbstständig atmete.
    »Wird

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