Nebelflut (German Edition)
hätte jeden auf dieser Party ohne mit der Wimper zu zucken umgebracht, wenn sie dafür zurückgekommen wäre. Diese dekadenten Arschlöcher mit ihren Wohlstandsproblemen, was wussten sie schon über sein Leben? Er hätte die Mackenzies, den Ministerpräsidenten – Gott, er hätte sogar den Papst erschossen, um seiner kleinen Schwester eine zweite Chance zu bescheren.
»Und, wie läuft es mit Ihrer Praxis, Patrick?«, fragte ein kurzhaariges Mannsweib in einem schwarzen Schlauchkleid.
Ohne dass Patrick es hatte verhindern können, war er in den Mittelpunkt der Gesprächsrunde gerückt. Grace lächelte verhalten, als sei sie froh, dass er endlich von den furchtbaren Ereignissen dieses Tages abgelenkt wurde. Er liebte sie, aber manchmal hatte sie einfach keine Ahnung.
»Gut. Es läuft gut.«
»Hatten Sie auch schon Fälle von diesem ekligen Syndrom, das jetzt die Runde macht, diesen ausschlagsartigen … diesen Milben oder Würmern, wie heißt das denn noch mal?«
»Morgellons«, ergänzte der Mann mit der Glatze.
Patrick wusste, wovon er sprach. Von einer Krankheit, bei der die Betroffenen glaubten, von Parasiten abgelegte Fäden oder Fasern unter der Haut zu haben. Hatten die Leute hier keine anderen Probleme, als sich an seltenen Krankheiten aufzugeilen? »Nein, ich bin kein Dermatologe, also …«
Die Kurzhaarige sah einen bebrillten Mann, der mehr hinter als neben ihr stand, ruckartig an. »Sagtest du nicht, er sei Hautarzt?«
»Nein, ich sagte Hausarzt, Marjorie.«
Marjorie lächelte breit und sah auf einmal doch noch wie eine Frau aus. »Ach so und was haben die Leute so?«
Die Frage irritierte Patrick, die Ignoranz, die sich darin verbarg, doch er rief sich selbst zur Ruhe. Er durfte jetzt nicht überreagieren.
»Patrick?« Grace klang leicht verunsichert.
»Ähm …« Er setzte gerade zu einer Antwort an, als sein Handy in seiner Brusttasche klingelte. »Geben Sie mit eine Minute, dann erfahren Sie es in allen Einzelheiten.« Er wandte sich ab und warf einen Blick aufs Display. Im nächsten Moment setzte sein Herz einen Schlag lang aus. Das konnte doch nicht wahr sein!
Er stellte das Telefon lautlos und hielt es sich ans Ohr. »Hallo? Tut mir leid, der Empfang ist ziemlich schlecht. Warten Sie eine Sekunde …« Währenddessen ging er schnellen Schrittes zur Balkontür, öffnete sie und trat nach draußen. Erst als er die Tür hinter sich angelehnt hatte, nahm er ab. »Was fällt dir ein, mich anzurufen?«
Jerzy sah offensichtlich keinen Grund, auf seine gereizte Frage zu antworten. »Patrick? Patrick Namara?«
»Wer denn sonst? Was zur Hölle willst du?« Er warf einen nervösen Blick nach drinnen. Grace schaute alarmiert zur Tür.
»Du musst sofort herkommen! Hörst du? Du musst sofort kommen!« Es war laut im Hintergrund und Jerzy klang alles andere als nüchtern.
»Einen Dreck werd ich tun!«
»Du kommst jetzt sofort her oder ich sorge dafür, dass jeder in Malahide erfährt was du–«
Patrick hörte nicht weiter zu, er schloss die Augen und atmete tief durch. Was hatte er sich nur dabei gedacht, auch nur einen Fuß nach Dolphin’s Barn zu setzen? Es war so klar gewesen, dass sich das Pack von dort irgendwann in sein Leben drängen würde.
»Was willst du?«
»Mein Cousin! Er hat eine Überdosis! Du musst sofort herkommen, verdammt noch mal!«
»Wieso zur Hölle rufst du keinen Notarzt?«
»Machst du Witze??«
Drinnen machte sich Grace auf den Weg zur Balkontür und nahm Patrick so die Zeit zum Nachdenken. »Ich mach mich sofort auf den Weg. Ruf mich in fünf Minuten noch mal an!« Damit legte er auf und ließ das Handy in seiner Tasche verschwinden. Im selben Moment öffnete Grace die Balkontür.
»Was ist los? Ist etwas passiert?«
Obwohl dies vermutlich der denkbar unpassendste Zeitpunkt war, fiel ihm in diesem Moment auf, wie umwerfend sie in dem goldenen Paillettenkleid aussah, das sie sich extra für heute Abend gekauft hatte. Allein schon dieses Anblicks wegen tat es ihm Leid, sie anzulügen. »Einer meiner Patienten hat starke Schmerzen in der Brust. Ich muss sofort nach ihm sehen, vielleicht hat er einen Infarkt!«
»… ist es nicht besser, einen Notarzt zu rufen?«
»Der Mann ist alt und verwirrt. Er lässt keine Fremden in die Wohnung.«
Grace nickte hastig und drückte ihm einen Kuss auf die Wange. »Gut, dann beeil dich.«
-25-
Patrick lenkte den Wagen mit erhöhter Geschwindigkeit in den Wendekreis und brachte ihn mit quietschenden Reifen zum Stehen. Er
Weitere Kostenlose Bücher