Nebelflut (German Edition)
Beamten. Auf dem Flur entdeckte er den sichtlich zerknirschten Callahan.
»Noch mal Glück gehabt, Namara. Ihre Frau hat Ihr Alibi bestätigt.«
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»Das war’s dann erstmal?« Brady blickte vom Schreibtisch auf und zu Sean, der an der geschlossenen Tür lehnte.
Kilian hatte den Kopf auf die Hände gestützt und wirkte deprimiert.
»Das war’s dann erstmal. Er hat für beide Tatzeitpunkte ein Alibi. Das reicht dem Haftrichter, um seine Schuld anzuzweifeln«, erklärte Sean.
»Aber die Alibis kommen von seiner Familie!«
»Was ihn nicht schuldiger macht. Außerdem hat er sein Auto selbst als gestohlen gemeldet. Wäre er der Täter, wäre das reichlich blöde. Da hat der gute Doktor schon recht. Und da wir auch keine verräterischen Fingerabdrücke an den Tatwaffen haben …«
»Wir stehen wieder bei Null, was?« Kilian hob den Kopf. Unter seinen Augen zeichneten sich dicke, schwarze Ränder ab.
»Ich weiß überhaupt nichts mehr.« Brady schloss die Augen und massierte seine Schläfen. Die erste Euphorie, die nach Namaras Verhaftung geherrscht hatte, war längst abgeklungen und einer alles umfassenden Müdigkeit gewichen.
»Machen wir den Rest des Tages frei.«
»Geht das denn?«, hörte er Kilian fragen.
»Wem nützt es, wenn ihr zusammenbrecht?«
Brady öffnete die Augen wieder. Die Vorstellung klang verlockend. »… gibt es denn nichts zu tun?«
»Was denn?« Sean zuckte mit den Achseln. »Wie Kilian schon sagt, wir stehen wieder ganz am Anfang.«
»Scheiße.«
»Geh nach Hause, McCarthy. Morgen sehen wir weiter.«
-58-
»Wenn du in Schwierigkeiten bist, dann verlange ich, dass du uns die Wahrheit sagst!«
Patrick hatte Jack lange nicht so aufgebracht erlebt. Die Stimme seines Vaters klang durch sein Handy verzerrt und schallte ihm so laut entgegen, dass sie ihm Kopfschmerzen verursachte.
»Ich bin nicht in Schwierigkeiten, Dad. Beruhig dich bitte.«
»Ich soll mich beruhigen? Du hättest mal das Gesicht deiner Mutter sehen sollen, als hier auf einmal die Polizei aufgetaucht ist! Weißt du, wie sie sich gefühlt hat? Kannst du dir das auch nur ansatzweise vorstellen?«
Patrick schloss die Augen und atmete durch. Er war froh, dass er das Gesicht seiner Mutter nicht gesehen hatte. So schlecht, wie es ihr bei ihrer letzten Begegnung gegangen war, konnte der Anblick nur schwer zu verkraften sein.
»Es tut mir leid. Das ist alles ein verdammt blöder Zufall, mehr nicht und ich verspreche dir, dass sich das aufklären wird.«
»Falls du doch in Schwierigkeiten bist, Junge …«
»Denkst du, dass ich diese Leute umgebracht habe?« Er klang vorwurfsvoller als er wollte und am anderen Ende der Leitung herrschte kurz Schweigen. Doch als Jack schließlich antwortete, dass er das natürlich nicht tue, glaubte Patrick ihm.
»Wir möchten einfach, dass es dir da drüben in Dublin gut geht. Verstehst du?«
»Ja. Das verstehe ich.« Patrick öffnete die Augen und sah aus dem Fenster. Der Taxifahrer raste über den Merchant’s Quay und auf der rechten Seite zog die Liffey vorbei wie ein schmutziges braunes Band. »Macht euch keine Gedanken um mich, Dad.«
»Du hast alles im Griff, oder?«
»Wie immer. Und jetzt sieh zu, dass du Mum beruhigst.«
Patrick legte auf und ließ das Handy in seine Tasche gleiten. Es war ihm nicht schwergefallen, seinen Vater zu belügen, das war er gewöhnt. Was ihm hingegen schwerfiel war zu entscheiden, was er jetzt machen sollte, um wirklich alles in den Griff zu kriegen. Er hatte keine Ahnung, was er zuerst tun, wo er anfangen sollte, und der Entzug wurde stetig schlimmer. Er zog sein Handy wieder hervor und fing an, eine Liste zu machen, doch er schaffte es nicht, sie in eine sinnvolle Reihenfolge zu bringen.
Gleich nach seiner Entlassung hatte er versucht, Grace zu erreichen, doch sie hatte ihn weder zurückgerufen noch auf seine SMS geantwortet. Er wusste allerdings von Callahan, dass sie bei ihren Eltern in Inchicore wohnte. Heute war Dienstag, demnach hatte sie den Nachmittag frei. Er würde bei ihr beginnen – er musste einfach wissen, wie weit er sich auf sie verlassen konnte, damit man ihn nicht gleich wieder einbuchtete.
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Die Anner Road war eine Querstraße voller Reihenhäuser mit teils begrünten, teils betonierten und zu Stellplätzen umfunktionierten Vorgärten. Bei schönem Wetter war die Gegend ganz annehmbar, ansonsten war sie so trostlos wie der Rest der Stadt. Patrick bezahlte den Fahrer mit dem letzten Bargeld, das er bei sich trug, dann
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