Nebelflut (German Edition)
schlafen zu können, brauchte er eine großzügige Line und zwei Diazepam, und er wusste, dass er zumindest Letzterem nicht würde widerstehen können, wenn er jetzt heimkehrte. Kokain hatte er nicht mehr, die letzten Reste hatte Sophie gestern Morgen vom Wohnzimmertisch gewischt.
Er fragte sich, ob sie noch da war. Er ließ den Blick über die entfernte Küstenlinie schweifen. In vielen Fenstern brannte Licht, doch sein eigenes Haus lag komplett im Dunklen. Vielleicht hatte sie endgültig ihre Sachen gepackt und war gegangen, nachdem er verhaftet worden war. Vermutlich hätte er ihr wenigstens Bescheid sagen sollen. Vielleicht hätte er auch Grace anrufen sollen, bevor sich die Polizei bei ihr meldete. Schließlich war sie immer noch seine Frau.
Aber es ist wie immer: Anstatt, dass du mich an dich heran lässt, stößt du mich fort.
Dieser Satz hatte ihn getroffen. Er hatte nicht gewusst, dass Grace diese gewisse Distanz zwischen ihnen klar war. Erst jetzt, im Nachhinein, fielen ihm einige Situationen ein, die ihn stutzig hätten machen müssen: Abende, an denen sie ihn immer und immer wieder gefragt hatte, ob es ihm gut ging. Bohrende Blicke, die er meist nur aus dem Augenwinkel wahrgenommen hatte. Vielleicht hatte sie seine Aufs und Abs von Anfang an mitbekommen. Wenn es so war, musste sie sich ständig um ihn gesorgt haben – und was hatte er getan? Mauern um sich herum errichtet. Wenn seine Verdächtigungen nicht bloß Hirngespinste waren, dann war es verständlich, dass sie irgendwann einen regelrechten Hass auf ihn entwickelt haben musste.
Er versuchte, seine Fantasie zu zügeln. Zwar musste er wohl oder übel in Betracht ziehen, dass Grace mit allem zu tun hatte, doch er durfte sich nicht wieder in etwas verrennen. Morgen früh, wenn er einigermaßen frisch und ausgeschlafen war, würde er ruhig und besonnen–
Patrick spürte, wie Wasser durch seine Schuhe drang und seine Socken durchnässte. Verwirrt stellte er fest, dass der Sand unter ihm sich in Matsch verwandelt hatte. Er blickte auf und erschrak. Die Flut hatte eingesetzt und an einigen Stellen war der Strand schon bis zu den Dünen überschwemmt. Wie hatte er nur dermaßen die Zeit vergessen können? Er drehte sich zum Ozean. Das Wasser kam auf ihn zu, so schnell, dass er zuschauen konnte. In wenigen Minuten würde der gesamte Strand überspült sein. Patrick machte ein paar Schritte und merkte schon jetzt, dass er im Sand stecken blieb. Jedes Heben der Füße verursachte ein Schmatzen, als ob ihn etwas festhalten wollte und nur unwillig nachgab.
Er beschleunigte seine Schritte so gut es ging und stellte fest, dass das Wasser stetig anstieg, obwohl er sich Richtung Land bewegte. Das konnte nur bedeuten, dass er sich auf einer Sandbank befand. Er hatte von Spaziergängern gehört, meist Touristen, die in letzter Minute von solchen Sandbänken gerettet worden waren, weil das Wasser um sie herum zu hoch gestanden hatte, um zu Fuß zum Strand zurückzukehren.
Patrick versuchte, noch schneller weiter zu kommen, doch das Wasser leckte jetzt schon an seinen Knien und er drohte, seine Schuhe im Matsch zu verlieren. In der Ferne hörte er die Brandung an die Klippen schlagen und es klang nicht wie sonst, nicht beruhigend, nicht wie ein Geräusch, das man gern um sich hatte. Es hörte sich heimtückisch an.
Das Wasser erreichte Patricks Oberschenkel. Er versuchte, noch schneller voran zu kommen, strauchelte und fiel der Länge nach in die eisige, salzige Brühe. Das Wasser war so kalt, dass er einen Moment brauchte, um den Schock zu überwinden und sich zu orientieren. Er war sofort bis auf die Knochen durchnässt und als er sich wieder aufrichtete, fegte der Wind durch seine Kleider.
Patrick kämpfte sich weiter vorwärts, weiter in Richtung der rettenden Dünen, doch mit jedem Schritt wurde es beschwerlicher. Er blieb stehen und ließ das Wasser an sich zerren. Seine Lungen schienen einzufrieren. Als ob sein Körper ihm die ganze Zeit über einen blöden Streich gespielt hatte, spürte er plötzlich, wie fertig er war. Die Unruhe verflog und machte einer Erschöpfung Platz, die ihn in die Tiefe zu ziehen drohte. Und auf einmal wurde ihm bewusst, dass es möglich war. Dass er loslassen konnte. Es bedurfte dessen nicht viel. Er würde einfach nur aufhören müssen, gegen das Wasser, gegen die Schwere in seinen Beinen anzukämpfen. Einfach aufgeben und alles würde ein Ende haben. So leicht konnten die Dinge für ihn sein, wenn er es nur zuließ. Er
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