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Nebelflut (German Edition)

Nebelflut (German Edition)

Titel: Nebelflut (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nadine d’Arachart
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Herzinfarktpatienten – wenn doch, sah es finster für ihn aus.

-54-
    Patrick saß auf der Pritsche in der Einzelzelle, die ihm zugewiesen worden war, und starrte die Wand an, auf der sich immer wieder Amys Foto wie ein Geisterbild zu manifestieren schien. Im Haus seiner Eltern und auch bei ihm gab es keine Aufnahmen mehr von ihr und bis die beiden Polizisten am ersten Weihnachtstag aufgetaucht waren, hatte jahrelang keiner mehr direkt über sie gesprochen.
    Er wusste, dass das nicht richtig war. Er hatte Reportagen über verschwundene Menschen gesehen, von denen ihre Freunde und Familien voller Liebe sprachen. Deren Sachen in ihren Zimmern aufbewahrt wurden wie in einem Schrein. Es war ihm immer vorgekommen, als ob es in diesen Familien richtiger lief als bei ihnen. Gleichzeitig wusste er aber, dass es für sie keine Option gewesen wäre, so zu handeln. Er hatte die Gesichter seiner Eltern vor Augen, wie sie in der Zeit nach Amys Verschwinden ausgesehen hatten. Er wusste, dass seine Mutter damals praktisch immer geweint und sein Vater immer gearbeitet hatte und dass beide irgendwie den Spagat versuchten, diesen ganzen Kummer von ihm fernzuhalten. Er fühlte sich stets schlecht deswegen, suchte aber trotzdem nie das Gespräch. Direkte, ehrliche Diskussionen über Amys Verschwinden gab es bei ihnen einfach nicht. Natürlich, am Anfang, als noch die Polizei bei ihnen ein und aus ging und ständig Nachbarn da waren, um sich besorgt zu erkundigen, da wurde viel über sie gesprochen. Hoffnungsvoll.
    Sie wird schon wieder auftauchen, sie wird ganz sicher wieder auftauchen, wir beten zu Gott, dass sie wieder auftaucht …
    Aber dieses Mantra war irgendwann verschwunden und mit ihm die Hoffnung. Und mit der Hoffnung waren nach und nach alle Gegenstände aus dem Haus verschwunden, die in irgendeiner Form an Amy erinnerten.
    Mit achtzehn war Patrick fast fluchtartig von zu Hause ausgezogen, um aufs College zu gehen, doch er hatte Amys Geschichte mitgenommen, sogar bis in seine Ehe. Er hatte eine Fassade darum errichtet und sie mithilfe von Arbeit und scheinbarer Angepasstheit aufrechterhalten. Immer, wenn die Schuldgefühle Risse hinein gegraben hatten, hatte er sie mit Kokain und Lügen gekittet. Und jetzt erntete er, was er gesät hatte.
    Patrick verscheuchte Amys Bild und all die anderen Bilder, die ihn zu übermannen drohten. Es war früher Abend geworden und um ihn herum war es ungewöhnlich still. Vermutlich waren die meisten Beamten schon nach Hause gegangen.
    Ob McCarthy und Callahan schon mit Grace gesprochen hatten? Wenn sie die Wahrheit sagte war er geliefert. Er hatte den Polizisten sagen müssen, dass sie getrennt waren und allein schon das hatten die beiden aufgenommen, als sei es ein Teilgeständnis. Wahrscheinlich passte es genau in ihr Bild von ihm: Der Psychopath, dessen Leben mehr und mehr aus den Fugen geriet, der tötete, um damit zurechtzukommen und das Kartenhaus durch seine Morde nur noch mehr ins Wanken brachte.
    Patrick wusste, dass er nichts getan hatte, dass ihm irgendwer die Morde unterschieben wollte. Irgendwer hatte sein Auto gestohlen, die Tatwaffen darin versteckt und es so deponiert, dass es irgendwann gefunden werden musste. Gleich nachdem die Polizei das erste Mal bei ihm aufgetaucht war, hatte er befürchtet, dass etwas nicht stimmte. Anstatt die Sache von Anfang an wirklich ernst zu nehmen, ließ er sich lieber von irgendeinem diffusen Gefühl der Bedrohung verrückt machen und vernebelte seinen Kopf mit Drogen.
    Schließlich stand er auf und machte ein paar Schritte durch die winzige Zelle. Seine Glieder fühlten sich steif an und das grelle Licht hier drin, gepaart mit dem beginnenden Entzug, verursachte ihm Kopfschmerzen. Er fragte sich, wie es sich anfühlte, zu wissen, dass man Monate oder Jahre in einer solchen Zelle verbringen musste. Wie lange es dauerte, bis man wahnsinnig wurde.
    Grace musste ihm einfach diesen letzten Gefallen tun. Sie musste.

-55-
    Ein dumpfer Knall, gefolgt von schweren Schritten, ließ Brady aufschrecken. Sean hatte das Büro betreten und setzte sich auf seinen quietschenden Schreibtischstuhl.
    »Morgen, McCarthy! Sag’ nicht, du hast die Nacht hier verbracht?«
    »Doch, sieht so aus.« Brady richtete sich auf und streckte sich. Seine Glieder schmerzten und seine Augenlider fühlten sich schwer an.
    »Kein guter Ort zum Schlafen.«
    »Wem sagst du das?« Brady ließ sich wieder auf seinen Stuhl sinken und rieb sich die Augen. »Hast du mit Grace Namara

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