Nebelflut (German Edition)
nach allem was war.«
»Nach allem was war? Wer ist denn verantwortlich für alles was war? Wer hat denn mit dem erstbesten Arbeitskollegen rumgehurt?«
Grace funkelte ihn zornig an. »Könntest du dich bitte zusammenreißen? Ich verstehe einfach nicht, was in letzter Zeit mit dir los ist.«
»Mit mir? Was ist mit dir los?«
Grace sah ihn lange an. Ihre Wut verflog sichtlich und Tränen füllten ihre Augen. »Mit mir ist gar nichts los, Pat. Nichts. Du bist derjenige, dem es nicht gut geht. Aber es ist wie immer: Anstatt, dass du mich an dich heran lässt, stößt du mich fort. Warum können wir nicht einmal offen miteinander sprechen?«
Patrick wusste nicht, was er sagen sollte. Er hatte nie gemerkt, dass sie auch nur ansatzweise eine Ahnung hatte, wie es in ihm aussah. Vor den Vorfällen der letzten Zeit hatte er sich stets bemüht, ihr den perfekten Ehemann vorzuspielen. Wenn sie die ganzen Jahre über gespürt hatte, dass er etwas vor ihr verbarg, war es nur noch verständlicher, wieso sie sich einen anderen gesucht hatte. Der Ehepartner sollte schließlich jemand sein, der einem so nah war wie man selbst. Vielleicht hatte sie sich danach gesehnt. Nach Nähe.
»Hast du mich deshalb betrogen?«
Die Tränen rannen jetzt wie Sturzbäche über Graces Wangen. Sie schüttelte heftig den Kopf. »Ich habe dich nicht betrogen. Seit wir uns kennen gelernt haben, haben mich andere Männer nicht mehr interessiert. Sonst wäre ich doch längst gegangen!«
»Wer weiß, vielleicht wolltest du das Haus behalten. Die Annehmlichkeiten. Dein bequemes Leben.«
»So denkst du also von mir?«
»Erklär mir, wie diese Schlüsselkarte in unser Haus gekommen ist.«
»Erklär du es mir doch! Du bist doch hier offenbar der mit den Geheimnissen.«
Patrick antwortete nicht. Er zog so heftig an seiner Zigarette, dass er die Hitze der Glut im Mund spürte. War es möglich, dass er diese Karte dort verloren hatte? Er durchforstete sein Gedächtnis, so gut es ihm in dieser Situation und in seinem Zustand möglich war, aber er war ewig in keinem Hotel mehr gewesen. Das letzte Mal gemeinsam mit Grace und Tammie. Nein, diese Karte konnte unmöglich von ihm kommen und er ging davon aus, dass sie das ganz genau wusste. Vielleicht wollte sie ihm jetzt auch noch einreden, dass er verrückt war. Vielleicht war das Teil ihres Spielchens, das sie trieb. Möglicherweise hatte sie sich in Cal verliebt, der aber nur Kindergärtner und nicht Arzt war. Grace wollte aber weder ihren Lebensstandard aufgeben noch das Sorgerecht für Tammie verlieren, also sorgte sie einfach dafür, dass er den Verstand verlor und als Mörder in den Knast wanderte … Das ergab Sinn. Er hielt es nicht für wahrscheinlich, wollte es nicht für wahrscheinlich halten, aber es war möglich. Theoretisch konnte sie sich Weihnachten fortgeschlichen haben. Und Cal konnte in der Silvesternacht diese Frau erschossen haben. Aber die beiden waren noch nicht fertig mit ihm, deshalb gab sie ihm jetzt ein Alibi. Wer wusste, was als Nächstes kam. Patrick wurde schwindelig und sein Herz klopfte erbarmungslos gegen seine Brust. Er hatte sich doch nicht so in seiner eigenen Frau täuschen können, oder?
»Patrick?« Grace trat einen Schritt auf ihn zu. »Was ist mit dir? Du bist ganz bleich!«
Er spürte, wie ihm der Schweiß ausbrach, und wich nun selber zurück, um nichts Unüberlegtes zu tun. »Ich muss los«, hörte er sich selbst sagen.
»Was? Aber …«
»Ich muss hier weg.« Er wandte sich ab und lief los, ohne genau zu wissen wohin. In seinem Kopf drehte sich alles und es fiel ihm in diesem Moment schwer, seiner eigenen Frau den Rücken zuzudrehen.
»Patrick! Warte doch!«
Er lief weiter und weiter durch das Labyrinth aus Reihenhäusern, hinter deren Türen scheinbar heile Familien scheinbar heile Leben führten. An einer Straßenecke, irgendwo Richtung Hilton und St. John’s Road ging ihm die Puste aus. Er wusste nicht, wie lange er gelaufen war, aber Graces Stimme war längst verklungen.
-60-
Als Patrick Malahide mit dem Bus erreichte, war es Abend geworden. Er fühlte sich zu unruhig, um nach Hause zu gehen, also zog er seine Jacke enger um die Schultern und lief runter zum Strand. Zwar hing sein Hirn kraftlos in seinem Schädel und verlangte mit Nachdruck nach Schlaf, doch sein Körper fühlte sich an, als habe man ihm einen Trichter in den Mund gesteckt und ihn von unten bis oben mit Ameisen angefüllt. Um diese beiden Empfindungen in Einklang zu bringen und ruhig
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