Nebelflut (German Edition)
zitterten und er spürte, dass ihm heiße Tränen über die Wangen rannen.
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Am nächsten Morgen fühlte sich Patrick wie gerädert. Er brauchte drei Anläufe, um überhaupt aus dem Bett zu kommen und eine Ewigkeit, um sein Handy aus seinen Kleidern zu fummeln, nur um dann festzustellen, dass es den Ausflug ins Salzwasser nicht überlebt hatte. Er wankte ins Arbeitszimmer und ließ sich auf den Schreibtischstuhl sinken. Ihm war heiß und kalt zugleich, vermutlich hatte er Fieber. Fahrig nahm er das Telefon von der Station und wählte Jerzys Nummer, die er längst auswendig kannte. Er musste sich unbedingt in Fahrt bringen, wenn er nicht noch einen Tag sinnlos vergeuden wollte.
Patrick bat den Dealer, bei ihm vorbeizukommen, weil er wusste, dass er den Weg nach Dolphin‘s Barn in diesem Zustand nicht schaffen würde. Er hätte Sophie bitten können, ihn zu fahren, aber ein solcher Mistkerl war er dann doch wieder nicht. Er legte das Telefon weg und zog sich frische Sachen über, dann öffnete er die Tür zum Korridor. Unten hörte er das Klappern von Computertasten. Er wusste, dass Sophie zum Surfen stets hier herüber kam, da der Empfang im Gartenhaus miserabel war. Im Moment wäre er allerdings deutlich lieber allein gewesen. Er vernahm, wie sie zu tippen aufhörte, dann quietschte das Sofa, als sie aufstand. Patrick wich ins Schlafzimmer zurück und kam sich im nächsten Moment albern dabei vor.
»Mister Namara?« Sie war in die Diele gekommen und flüsterte mehr, als dass sie rief.
»Ich erwarte jemanden, Sophie. Wenn es klingelt, lassen Sie ihn bitte einfach herein.«
»Okay. … die Polizei oder –«
Patrick schloss die Tür und ging zurück ins Arbeitszimmer. Vielleicht war sein Ansatz in der Nacht von Sonntag auf Montag gar nicht so verkehrt gewesen und er musste einfach dort weitermachen, wo er, wenn auch unwissentlich, aufgehört hatte.
Er drehte die Heizung auf und setzte sich an Graces Schreibtisch. Sie hatte ihr Netbook noch nicht abgeholt und er hatte nicht das Gefühl, dass er seine Tastatur würde reinigen können, ohne sich ein weiteres Mal darüber zu übergeben. Er fuhr den Computer hoch und der andere Patrick, der Familienvater, bei dem alles halbwegs gut lief, lächelte ihm gewinnend entgegen. Er ignorierte das Foto so gut er konnte und überlegte, womit er beginnen sollte. Er wusste, dass seine Schwester tot war und er wusste, wo sie begraben worden war. Er wusste, dass an diesem Ort ein bärtiger Kerl getötet worden war, der vorher allem Anschein nach Amys Sachen in den River Camac entsorgt hatte. Er wusste, dass ebenfalls eine Frau ermordet worden war, vermutlich von der gleichen Person, die auch den Mann erledigt hatte. Soweit hatten die Polizisten recht: Es musste jemand sein, der herausgefunden hatte, was für Monstren diese beiden Menschen waren, und bereit dazu gewesen war, ihnen die gerechte Strafe zuteil werden zu lassen. Doch Patrick traute weder Jack noch seiner Mutter diese Taten zu, und außer ihnen Dreien gab es niemanden, der ein Interesse an Amy haben konnte. Also war es wahrscheinlich, dass es weitere Opfer gab. Vielleicht war jemand entkommen. Vielleicht hatte dieser Jemand Amy gekannt und wusste, was ihr zugestoßen war. Das Phantombild in der Zeitung fiel Patrick ein. Der Mann, dessen Wange eine mehr als auffällige Narbe zierte, wurde im Zusammenhang mit den Morden gesucht. Vielleicht würde er die Antworten auf all die Fragen kennen, wenn Patrick ihn nur fand.
Er öffnete eine Suchmaschine und gab „Mann Narbe Brittas Morde“ ein. Sogleich bekam er mehrere Dutzend Ergebnisse. Er klickte auf „News“ und las, dass der Narbengesichtige und ein weiterer Mann offenbar am Freitag vernommen worden waren. Die Polizei hatte sie am Samstag gehen lassen, doch mittlerweile wurde wieder nach ihnen gefahndet. Patrick fand Fotos der beiden und war erstaunt, wie gut der Narbenmann auf dem Phantombild getroffen war. Eine Eilmeldung berichtete, dass der andere, ein unauffälliger Junge mit hellblondem Haar, vergangene Nacht ins Tallaght Hospital eingeliefert worden war und offenbar im Koma lag. Patrick lehnte sich zurück. Was hatte das alles zu bedeuten? Wenn der Narbenmann die beiden ersten Opfer auf dem Gewissen hatte, war das dritte vielleicht auch ein Täter und er hatte ihn ebenfalls erledigen wollen. Wieso ließ er sich dann zwischen den einzelnen Morden so viel Zeit?
Patrick klickte sich weiter durch die News und stieß auf die grausigen Details der ersten beiden
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