Nebelfront - Hinterm Deich Krimi
der Eiderstedts
Touristenmagnet St. Peter-Ording lag. Etwa im Zentrum der Halbinsel lag
Garding, heute noch das Verwaltungszentrum Eiderstedts und Geburtsort des
Historikers Theodor Mommsen, von dem viele nicht mehr wissen, dass er 1902 der
erste deutsche Literaturnobelpreisträger war.
Auf dem kopfsteingepflasterten Platz an der St.-Christian-Kirche
fanden sie einen Parkplatz. Die altehrwürdige Kirche stand auf der höchsten
Erhebung Eiderstedts, und das Schlüsselloch der Eingangspforte soll auf der
Höhe der Tönninger Kirchturmspitze liegen.
Vom Marktplatz zweigte die Enge Straße ab, die ihren Namen zu Recht
trug. Bei allem Charme konnte Garding nicht verbergen, dass die große Blütezeit
vorbei zu sein schien. Trotz eines regen und engagierten öffentlichen Lebens
zeugten viele leer stehende Ladenlokale vom Sterben der kuscheligen Innenstadt.
Die ehemalige Arztpraxis von Dr. Pferdekamp lag am unteren Ende
der Straße. Gegenüber fand sich ein Lebensmittelmarkt, der wegen der Lage in
der Innenstadt sicher eine Rarität war. Ein Stück weiter war die über
Eiderstedts Grenzen hinaus bekannte Musikkneipe »Lütt Matten« beheimatet.
Das Gebäude mit der Praxis wurde durch zwei trostlose und
heruntergekommene Nachbarhäuser eingerahmt, in deren Schaufenstern die
Abklebung heruntergerissen war. Es war kein schmuckes Entree in die
»Hauptstraße« der kleinen Stadt.
»Das hält nicht stand mit dem Eindruck, den die Arztpraxis am
anderen Ende der Straße macht«, stellte Große Jäger fest. »Die oben bei der
Kirche. Die präsentiert sich freundlich und farbenfroh.«
Die Praxisräume befanden sich hinter den Rundbogenfenstern im
Erdgeschoss des Hauses. Im Unterschied zu seinen Nachbarn machte der Bau einen
gepflegteren Eindruck. Dazu trugen sicher auch die Zierelemente an der Fassade
und die farblich gut abgestimmten Absetzungen in zarten Pastelltönen bei.
Große Jäger blieb stehen und sah einem älteren Mann entgegen, der
ein Bein nachzog und sichtlich Probleme beim Gehen hatte. Er wirkte ungepflegt,
die Kleidung war abgetragen, aus dem offenen Mund lugten Zahnstummel hervor.
Als sie auf gleicher Höhe waren, sprach er den Passanten an.
»Entschuldigung. Ich bin fremd hier. Können Sie mir einen Arzt
empfehlen?« Wie zufällig fiel sein Blick auf Heidi Krempls Praxisschild. »Ach.
Das ist ja einer.«
»Die da?«, sagte der Alte und nickte in Richtung des Schildes. »Bloß
nicht.«
»Aber warum nicht?«, tat der Oberkommissar erstaunt.
»Nix da. Geh zu ’nem andern Doktor. Die komische Tante taugt nix.«
»Warum nicht zu der?«
»Nur so.«
»Haben Sie schlechte Erfahrung mit Frau Doktor gemacht?«
Der Mann holte tief Luft, dass die Lungen rasselten. »Die ist kein
Doktor. Das merkst du auch. Dafür ist die zu doof.«
»Hat die Ärztin Sie falsch behandelt?«
»Falsch? Gar nicht.« Er rückte an Große Jäger heran. »Ich war vorher
bei Dr. Pferdekamp. Das war ein Pfundskerl. Da hab ich immer alles
gekriegt. Die da«, erneut zeigte er auf das Schild, »lässt die Patienten lieber
verrecken. Da kriegst du keine Pillen von der. Die sabbelt dich voll. Du sollst
es erst mal mit so’nem Naturscheiß versuchen.«
»Und? Gibt es sonst noch Vorbehalte gegen Frau Krempl?«
Der Alte kicherte. »Allein der Name. Krempl! Dann kommt die nicht
von hier. Spricht auch so komisch. Und hat ’n Kind. Aber keinen Mann.« Er
machte eine unwirsche Geste. »Nee, die soll man wieder dahin gehen, wo sie
hergekommen ist. Hier ist kein Platz für die.«
Große Jäger sah sich um, ob ihnen jemand zuhörte. »Sagen das alle?«
»Klar.« Der Alte streckte den Arm aus. »Jeder in der Stadt. Die wird
boy…« Er schnippte mit dem Finger. »Na, Dingsbums. Wie heißt das noch gleich?«
Der Oberkommissar tat ihm nicht den Gefallen, auszuhelfen.
»Dr. Pferdekamp selbst hat gesagt, dass die Neue mies ist.«
»Ehrlich?«
»Ja. Sicher.«
»Das hat er Ihnen gesagt?«
»Nicht mir, aber anderen.« Der Mann war so dicht an Große Jäger
herangerückt, dass er den Oberkommissar berührte. »Da geht auch keiner mehr
hin, zu der Schnepfe.«
»Die ist doch ganz nett.«
Dem Alten fiel gar nicht auf, dass der Oberkommissar die Ärztin gar
nicht kennen konnte. Er schüttelte den Kopf.
»Ist sie nicht«, beharrte er. »Ich muss jetzt weiter. Brauch noch
was zu trinken.« Sein Daumen wies Richtung Arztpraxis. »Gegen solche kleinen
Freuden wettert die auch.«
»Machen das die anderen Ärzte in Garding nicht?«
»Schon«, gestand
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