Nebelfront - Hinterm Deich Krimi
nette Leute hier.«
Das wunderte Christoph nicht. Die Freundlichkeit des Mannes wirkte
offenbar ansteckend.
Sie fuhren durch das Gewerbegebiet, in dem sich zahlreiche
Unternehmen niedergelassen hatten und auch eine Fülle von Groß- und
Verbrauchermärkten angesiedelt war, zur Umgehungsstraße, die seit gefühlten
Jahrzehnten nahe dem kleinen Ort Horstedt abrupt mit einer gefährlichen
Linkskurve endete, kreuzten die immer noch nicht elektrifizierte Marschenbahn,
die Hamburg mit der »Goldstaubinsel« verband – wie ein bekannter
Kabarettist seine Heimat Sylt beschrieb –, durchquerten das rege Dörfchen
Hattstedt und erreichten ein wenig später Breklum, das sich Durchreisenden als
unscheinbar zeigte, in dem aber nicht nur das nach dem Missionar Christian
Jensen benannte Kolleg beheimatet war, sondern auch die renommierte Fachklinik
Nordfriesland.
»Was wäre geschehen, wenn Christian Jensen, der evangelische Pastor,
nicht in den entferntesten Winkeln Asiens bis Papua-Neuguinea, sondern im
Münsterland missioniert hätte?«, fragte Christoph.
»Da sind doch schon alle katholisch. Und selbst der Papst hat in
Münster gewohnt und gearbeitet.«
»Ich meine, wenn Jensen evangelisch missioniert hätte.«
»Evangelisch?«, wiederholte Große Jäger gedehnt. »Was ist das?«
»Staatsreligion in Nordfriesland.«
»Ach so.«
Sie bogen am Hinweisschild »Fachkliniken Nordfriesland« von der
B 5, der – einzigen – Hauptverkehrsader Nordfrieslands, in die
stille Kirchenstraße ab, die durch den Einbau von Schikanen verkehrsberuhigt
war. Die Gebäude beiderseits der Straße gehörten zur Klinik, die auf dem
Gelände zwischen der Bundesstraße und dem höher gelegenen Bahndamm der
Marschenbahn eingebettet lag. Direkt an das Klinikgelände schloss sich der fast
leere Parkplatz an. Von dort fiel der Blick auf die Müllbehälter, die den
Nebeneingang zierten.
Das Haupthaus der Klinik bestand aus einem älteren Gebäudeteil, an
dem – so schien es – immer wieder etwas angefügt worden war, wobei
sich der jeweilige Architekt offenbar bemüht hatte, einen harmonischen
Gesamteindruck zu vermeiden.
Die renommierten »Fachkliniken Nordfriesland« waren eine
konfessionelle Einrichtung. Darauf wies auch die Inschrift »Ich bin der Herr,
dein Arzt« an der Frontseite des älteren Gebäudeteils hin. Die Klinik hatte
sich auf die Behandlung von Menschen mit Erkrankungen im Bereich der
allgemeinen Psychiatrie, aber auch von Suchterkrankungen spezialisiert.
Die Frau am Empfang benötigte eine Weile, bis sie Holger Kruschnicke
gefunden hatte. Sie entschuldigte sich für die Verzögerung.
»Ich habe den Patienten noch nicht in meiner Auskunftsdatei, weil er
ganz frisch aufgenommen wurde«, erklärte sie und wies den beiden Polizisten den
Weg zur zuständigen Station.
Dort wurden sie von einem Pfleger begrüßt, der sie bat, einen Moment
zu warten. Der Oberarzt sei gerade in einem Gespräch. Sie nahmen auf zwei
Stühlen im Flur Platz und wurden interessiert von müßig vorbeischreitenden
Patienten und geschäftig vorbeieilendem Personal beäugt.
Endlich öffnete sich die Tür, und ein untersetzt wirkender Mann im
weißen Kittel hielt sie für eine blonde Frau und ihren jüngeren Begleiter
geöffnet.
»Ich bedaure, Frau Steffen, aber ich darf Ihnen keine Auskunft
geben. Das sind nun mal die Bestimmungen.«
»Das ist doch paradox«, ereiferte sich der Mann. »Meine Mutter und
Herr Buschinski leben doch zusammen. Das wissen Sie doch.«
Der Arzt im weißen Kittel zuckte bedauernd die Schultern. »Ich habe
die Gesetze nicht gemacht.«
»Das ist doch Schwachsinn«, schimpfte die Frau, durch deren blondes
Haar am Scheitel das Grau der Originalhaarfarbe durchschimmerte. »Nur weil wir
keinen Trauschein haben … Peter und ich … Wir sind doch Mann und
Frau. Meinen Sie, ich wäre hier, wenn das anders wäre? Dann würde ich mir doch
keine Sorgen um ihn machen.«
»Wenn der Patient zustimmt, können wir gern ein Gespräch zu dritt
führen«, sagte der Arzt. »Aber nicht ohne seine Gegenwart. Es tut mir leid.«
Die Frau winkte ab. »Ich muss Ihnen doch nicht erklären, dass Peter
völlig von der Rolle ist. Sonst wäre er doch nicht hier. Wenn er seine
depressiven Schübe bekommt, ist er nicht ansprechbar.«
Der Arzt legte vorsichtig seine Hand auf den Rücken der Frau. »Ich
kann Ihnen versichern, Frau Steffen, dass Herr Buschinski bei uns gut
aufgehoben ist. Wir kümmern uns um ihn.«
»Daran zweifel ich doch nicht.
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