Nebelfront - Hinterm Deich Krimi
aber nicht in allen Fällen zutreffend.«
Christoph verstand, dass der Arzt ihnen helfen wollte, ohne die
ärztliche Schweigepflicht zu brechen.
»So kommt es vor, dass latent vorhandene Depressionen nicht erkannt
werden?«
»Oder nicht vom Facharzt behandelt werden.«
»Indem ein Allgemeinmediziner aus Garding glaubt, mit seinen
Kenntnissen und Fähigkeiten die Krankheit einer ihm nahestehenden Person im
Griff zu haben?«
Dr. Jamali antwortete nicht, breitete aber die Hände aus. Möglich,
sollte die Geste heißen.
»Ist eine solche Therapie hilfreich?«
Der Arzt dachte einen Augenblick darüber nach, wie er die Antwort
formulieren sollte.
»Sie würden sich von einem Gynäkologen, mag er einen noch so
exzellenten Ruf haben, nicht die Augen operieren lassen, wenn es darum ginge,
ob Sie erblinden oder nicht.«
»Und wenn ein Mediziner mit unzureichendem Fachwissen auf dem Gebiet
der seelischen Erkrankungen eine Therapie durchführt, vielleicht über viele
Jahre, muss das nicht zum Wohle des Patienten sein.«
»Das soll aber nicht heißen, dass der behandelnde Arzt ein Stümper
ist. Manchmal gibt es auch ganz persönliche Gründe, den Patienten nicht einem
Facharzt zu überantworten.«
»Weil man glaubt, damit die Depressionen des Patienten publik zu
machen?«, riet Christoph.
Ein Ruck ging durch Dr. Jamali. »Ich fürchte, unser
hypothetisches Gespräch nimmt eine Wendung, die ich nicht mehr verantworten
kann.«
»Kennen Sie die Ursachen für Holger Kruschnickes Depressionen?«,
fragte Große Jäger, der bisher schweigend dem Ganzen gefolgt war.
»Das Krankheitsbild ist sehr vielschichtig«, wich Dr. Jamali
aus.
»Immerhin haben Sie nicht geleugnet, den Gründen zumindest auf der
Spur zu sein«, stellte Christoph fest.
Dr. Jamali stützte sich auf dem Schreibtisch ab und stand auf.
»Entschuldigen Sie mich bitte, aber meine Patienten warten auf mich.«
»Könnte es sein, dass Herr Kruschnicke vor zwei Jahren das erste Mal
bei Ihnen Patient war?«, fragte Christoph zum Abschluss.
»Sie liegen nicht mit allen Vermutungen falsch«, erwiderte der Arzt
und lächelte vielsagend.
Sie kehrten zum Auto zurück. Als Große Jäger sich auf den
Beifahrersitz gezwängt hatte, fasste er seine Eindrücke zusammen.
»Der Doktor macht einen guten Eindruck. Ich glaube, herausgehört zu
haben, dass es ihm missfiel, dass Dr. Pferdekamp seinen Schützling selbst
behandelt hat. Der Alte hat die Depressionen zwar erkannt, aber die Krankheit
vor Dritten verborgen. Vielleicht war das auch einer der Gründe, weshalb die
beiden Männer so abgeschottet von der Welt gelebt haben.«
»Ist es vorstellbar, dass Dr. Pferdekamp der Auslöser für
Kruschnickes Depressionen war?«, überlegte Christoph laut. »Das würde erklären,
dass es eine Weile dauerte, bis sich Kruschnicke darüber im Klaren war und
seinen Zorn nachträglich an seinem Peiniger ausließ, indem er dessen Grab
schändete.«
»Das ist aber sehr weit hergeholt«, widersprach Große Jäger. »Dr.
Pferdekamp hat einen guten Ruf gehabt. Das, was man über ihn erzählte, verklärt
ihn fast zu einem Heiligen.«
»Dem steht aber die Aussage seiner Gardinger Nachfolgerin entgegen.«
»Das könnte auch Selbstschutz sein. Wenn Frau Krempl nicht so
tüchtig ist, wie sie selbst glaubt, verwundert es nicht, dass die Patienten
ausbleiben.«
»Wir haben aber von den Leuten in Garding gehört, dass Dr. Pferdekamp
direkt nach der Praxisübergabe gegen seine Nachfolgerin intrigiert hat. Frau
Krempl hätte in diesem Fall überhaupt keine reelle Chance erhalten.«
»Warum ist das Leben so kompliziert«, stöhnte der Oberkommissar.
»Wenn alle Menschen friedlich nebeneinander leben würden …«
»… wären wir arbeitslos«, fiel ihm Christoph ins Wort.
»Nicht unbedingt. Dann würden wir beide als Beamte im Bürgerbüro
sitzen und Personalausweise aushändigen.«
Christoph lachte. »Das könnte ich mir bei dir gut vorstellen.«
Als Antwort streckte ihm Große Jäger die Zunge raus.
DREI
Der Morgen hatte ein festes Ritual. Für Christoph. Wenn es
sich einrichten ließ, lief alles in gewohnter Weise ab. Das galt für das
Aufstehen, die Morgentoilette und das kleine gemeinsame Frühstück mit Anna, das
trotz gegenseitigen Bekundens, man wolle in Ruhe frühstücken, immer noch
hektisch zwischen Tür und Angel eingenommen wurde.
Die Fahrt über den Damm zum Festland, die administrativen
Aktivitäten nach dem Betreten des Büros … All das war Routine,
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